Der Kelch von Anavrin: Das magische Siegel (German Edition)
Zustand auf weitere Schurken stoßen.
»Lauf ihr nach«, sagte Braedon, denn er wusste, was Kenrick jetzt dachte. Seine Mundwinkel zuckten, als er auf den Körper des Gestaltwandlers blickte. »Ich komme hier allein zurecht.«
Ohne ein weiteres Wort stürmte Kenrick aus der Scheune und lief Haven nach.
Ein Feldarbeiter stand nicht weit von dem eingezäunten Acker, sah die angespannten Züge des Burgherrn und deutete dann hastig in Richtung des Pfads, der zur Burg hinaufführte. »Sie ist dort entlang, Herr.«
Aber da hatte Kenrick bereits ihre Gestalt weiter oben auf dem Weg entdeckt. Er rannte zu seinem Pferd und sprang in den Sattel. Mit einem festen Fersendruck trieb er das große Schlachtross an, das im nächsten Augenblick in vollem Galopp über den staubigen Weg jagte. Wenige Schritte trennten ihn jetzt noch von Haven, doch da verließ sie plötzlich den Weg und hielt auf den Wald zu, der sich westlich von Clairmont Castle erstreckte.
»Haven, warte!«, rief er verzweifelt, aber sie hörte nicht auf ihn.
Mit einem Fluch brachte Kenrick das Pferd dort zum Stehen, wo sie abgebogen war, und sprang aus dem Sattel. Die alte Steinmauer, die den Weg begrenzte, war an dieser Stelle eingefallen. Mit einem Sprung überwand er die mit Flechten bewachsenen Steine und rannte Haven hinterher.
Das Unterholz war dicht vor Frühlingsgrün. Efeu wand sich um die alten Bäume, junge Zweige knackten unter den schweren Stiefeln. Der von Pflanzen überwucherte Waldboden bedeutete einen Vorteil für Kenrick, denn so konnte er an den abgeknickten Zweigen und zerrissenen Ranken sofort erkennen, wo Haven gelaufen war. Sie war ohne festes Ziel in den tiefen Wald geirrt, doch Kenrick war ihr dicht auf den Fersen.
Und hatte sie bald eingeholt.
Hinter grünem Blattwerk erspähte er einen Flecken blauen Stoffs. Haven lehnte mit dem Rücken an einem von Moos überwucherten Felsblock, ihre Schultern bebten, die Brust hob und senkte sich schnell. Sowie sie hörte, dass ihr jemand gefolgt war, spannte ihr Körper sich an. Ruckartig fuhr ihr Kopf herum, die losen Haarsträhnen flogen ihr wie Flammen um das Haupt.
»Alles ist gut«, rief er ihr zu. »Du brauchst nicht vor mir davonzulaufen.«
Sie löste sich von dem Felsen, und ein gehetzter Ausdruck kam in ihre Augen. Sie machte einen zögernden Schritt, und für einen Moment glaubte Kenrick, sie würde erneut die Flucht ergreifen. Doch diesmal blieb sie stehen.
»Kenrick!«, klagte sie und eilte dann auf ihn zu.
Er schloss sie in die Arme und zog sie an sich. Sein Herz raste und krampfte sich zusammen, als er spürte, wie erleichtert sie sich an ihn klammerte. Sie vertraute ihm voll und ganz.
Kenrick hob ihr Gesicht und verschloss ihre Lippen mit einem Kuss. Es war ein keuscher Kuss, eine Zärtlichkeit, die Trost und Verständnis zum Ausdruck brachte. Er musste ihr zeigen, dass sie bei ihm sicher war.
»Geht es dir gut?«
Sie schien nicht in der Lage zu sein, die richtigen Worte zu finden. Ein schmerzerfüllter Laut entrang sich ihrer Kehle, aber immerhin nickte sie kurz.
»Bei Gott«, flüsterte er leise an ihrer erhitzten Stirn. »Lauf nicht noch einmal so ungestüm vor mir fort.«
Sie schmiegte sich enger in seine Umarmung. Nie zuvor hatte er diese Verletzbarkeit an ihr wahrgenommen, dieses unabdingbare Vertrauen, dass er ihr Schutz bieten werde. Plötzlich merkte er, dass sie am ganzen Leib zitterte. Seine feurige Dame, die nicht einmal den Tod zu fürchten schien, erbebte unter einem Schauer, der ihr in alle Glieder fuhr.
»Warum bist du hinunter ins Dorf gelaufen?«, fragte er, und seine eigene Stimme klang mit einem Mal brüchig. »Warum hast du dich dieser Gefahr ausgesetzt?«
»Ich musste dich warnen.«
»Warnen? Vor was?«
Sie klammerte sich förmlich an ihn, schlang die Arme so fest um seine Taille, als würde sie ihn nie wieder loslassen. »Letzte Nacht, als ich in mein Zimmer ging … da glaubte ich, draußen vor der Burg etwas zu sehen. Ich … spürte etwas. Etwas Kaltes und Bedrohliches, das aus der Dunkelheit heraus die Hand nach mir ausstreckte. Er war es, Kenrick. Gestern Nacht war mir das noch nicht bewusst, aber als ich ihn dann in der Scheune sah, nachdem er sich auf dich gestürzt hatte … «
»Du hast dich an etwas erinnert.«
Kenrick brauchte nicht danach zu fragen, denn es war allzu offensichtlich. Er hatte es in ihrem Blick gelesen, und jetzt sah er den Grund für ihre Unruhe an ihrem zitternden Leib.
»Du hast wieder Bilder jener Nacht
Weitere Kostenlose Bücher