Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
»Du bist hierhergekommen, das ist alles. Du kamst zu mir, ich habe dich berührt und mich in dich verliebt.«
»Liebe?« Langsam entzog er sich ihrer Hand, richtete sich auf, und ein undurchdringlicher Ausdruck lag in seinen Augen. Doch dann blickte er sie an und schüttelte den Kopf. »Serena, du gibst mir zu viel. Ich fühle mich geehrt, aber … «
Ein Stich durchfuhr ihr Herz. Sie faltete die Hände im Schoß und traute sich nicht, ihn erneut zu berühren, nachdem sie ihr Innerstes so unbedacht zum Ausdruck gebracht hatte. Doch sie war es nicht gewohnt, ihre Gefühle für sich zu behalten, insbesondere jetzt nicht, da Rand so viele wundervolle Empfindungen in ihr geweckt hatte. »Ich wollte es dir nur sagen, da es die Wahrheit ist. Ich erwarte nicht von dir, dass du genauso empfindest wie ich.«
Doch sie sehnte sich nach Worten der Liebe, auch wenn sie vorgab, stark und tapfer zu sein.
»Meine Kleine«, sagte er so sanft, dass sie aus Angst vor den folgenden Worten die Augen schloss. »Ich mag dich wirklich sehr. Mehr, als mir zusteht.«
»Aber du wirst mich verlassen.«
»Ja.« Dieses eine Wort hatte er leise ausgesprochen. Es gab kein Zurück. »Morgen werde ich aufbrechen, bei Anbruch der Dämmerung.«
Serena nickte. Sie brauchte die Ahnung nicht, um zu wissen, dass sie ihn nun für immer verlieren würde. Seit ihrer Rückkehr von Egremont hatte sie mit dieser Wendung gerechnet und sich beinahe jeden Augenblick vor den Abschiedsworten gefürchtet.
»Serena«, sprach er, »die zurückliegenden Tage, die ich hier im Wald mit dir verbracht habe, waren anders als alles, was ich bislang erlebt habe. Aber die Angelegenheit, die ich zu Ende bringen muss, wird nicht einfach von selbst verschwinden, weil ich es mir vielleicht so wünsche. Silas de Mortaine wird nicht einfach fortgehen. Er wird sogar immer stärker, und nach allem, was sich heute ereignet hat, wird es nicht lange dauern, bis er weiß, wer du bist.«
»Der Gestaltwandler, der mich heute angegriffen hat, wollte wissen, wo du die Kelche versteckt hast, die du in deinem Beutel hattest. Ich sagte ihm, der Schatz sei im Meer versunken, aber er glaubte mir nicht. Und dann stürzte er sich auf mich.«
»Bei Gott. Siehst du, genau deshalb muss ich dies zu einem Ende bringen, ehe ich dich und deine Mutter einer noch größeren Gefahr aussetze.«
Serena schaute zu ihm auf. »Was wirst du tun?«
»Nach Schottland gehen. Dort werde ich nach Serasaar suchen, nach dem letzten Teilstück des Kelchs. Ich werde de Mortaine entgegentreten müssen, mit oder ohne die Kelche.«
Serena wollte gar nicht an diesen Tag denken. Sie wusste zwar nichts über Rands Widersacher, hatte aber durch die Gabe der Ahnung sein bösartiges Wirken gesehen. Ebenso hatte sie die schwarze Magie kennengelernt, durch die die Gestaltwandler ihrem Herrn dienten. »Du musst am Leben bleiben«, sagte sie in ihrer Verzweiflung und klang dennoch forsch. »Damit du zu mir zurückkehren kannst, wenn dies vorüber ist.«
»Ich kann dich nicht bitten, auf mich zu warten, Serena.«
»Ich weiß«, erwiderte sie und lächelte traurig. »Du würdest mich nicht darum bitten, aber ich werde auf dich warten … so lange, wie es dauert. Daher darfst du nicht scheitern, Rand. Du kannst mich nicht ewig warten lassen.«
Als er sie ansah, verdunkelten sich seine Augen im schwachen Schein des Herdfeuers. Er beugte sich vor, fuhr mit den Fingern durch ihr Haar und zog Serena an sich, um sie zu küssen. Sie verlor sich in der sinnlichen Hitze seiner Lippen und wünschte sich so sehr, immer bei ihm sein zu können. Die Sehnsucht brannte wie Feuer in ihr, und die Vorstellung, Lebewohl sagen zu müssen, war ihr unerträglich.
»Oh, Rand«, hauchte sie an seiner Halsbeuge, als er sie in seinen Armen hielt. »Ich will dich nicht fortlassen.«
Er drückte sie an sich, und die Ahnung durchpulste sie mit einem Wirbelsturm aus Trauer und Begehren. Als draußen vor der Hütte Schritte zu hören waren, verspannte sich Rand. »Da kommt jemand«, flüsterte er und stellte sich bereits auf einen weiteren Kampf ein.
Aber es war nur Calandra. Die Tür öffnete sich mit einem Knarren, und das vertrauliche Gespräch verstummte, als Serenas Mutter mit verdrießlicher Miene die Hütte betrat.
»Ist etwas geschehen?«, fragte Calandra und richtete den Blick auf die Schale mit Wasser. »Gab es Schwierigkeiten?«
»Ja«, erwiderte Serena. »Jemand ist heute gekommen – ein böser Mann. Rand hat mich beschützt. Er hat mir
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