Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
hätten dann vier Streifen, wenn Ihr das Hemd der Länge nach durchtrennt.«
Als er ihr die Bitte nicht ausschlug, ging sie zu ihm und reichte ihm das Hemd. Er legte den Dolch zur Seite und streifte sich die Tunika ab, die Serena ihm vor einigen Tagen gegeben hatte. Leuchtend hob sich der kleine goldene Anhänger, der einst seiner geliebten Gemahlin gehört hatte, von den harten Konturen seiner Brust ab. Serena wandte den Blick von dem Schmuckstück ab und schaute stattdessen auf die Verbände, die Rands Arme und Oberkörper bedeckten. Nur hier und da war noch ein wenig Blut durch den Stoff gesickert.
Die Wunden verheilten gut, und schon bald gäbe es keinen Grund mehr für ihn, noch länger bei ihnen zu bleiben. Bei diesem Gedanken verspürte sie eine Mischung aus Erleichterung und Bedauern.
»Vier Streifen«, wiederholte Serena und reichte ihm das alte Kleidungsstück.
»Es sieht noch zu gut aus, um es zu zerschneiden.« Er hielt es hoch, und Serena staunte, wie klein das Kinderhemdchen in seinen großen Händen aussah. »Ist das deins gewesen?«
»Ja, aber es ist lange her«, erwiderte sie. »Ich habe keine Verwendung mehr dafür. Es ist kaum mehr wert als … Lumpen.«
Er nahm das Dargebotene mit zweifelndem Blick an, setzte sich dann wieder auf den Baumstamm und teilte den Stoff mit raschen Schnitten. Das feine Gewebe erlag der scharfen Klinge und fiel in den geforderten Streifen über Rands kraftvolle Oberschenkel.
Während Serena die gefalteten Decken aufeinanderlegte, nahm Rand die alten Verbände ab. Zunächst widmete er sich den Armen und entblößte die hässlichen Risswunden, die beide Unterarme verunstalteten. Die schmutzigen Leinenstücke warf er hinter sich und machte sich dann an dem Verband zu schaffen, der sich über seinen Oberkörper zog. Doch dieser erwies sich als schwieriger als die anderen Verbände. Seine Brust war breit, die Leinenstreifen waren mehrfach um seinen Körper geschlungen.
Mehr als einmal entwich ihm das Ende des Verbandsstreifens, sodass er sich danach strecken musste. Sie bezweifelte, dass er sich helfen ließe. Und doch war sie kurz davor, ihm ihre Hilfe anzubieten, als er sich schließlich des letzten Streifens entledigt hatte.
Kaum, dass der besudelte Verband sich löste, ging auch die Kette ab. Die unzuverlässige Schließe hatte nicht gehalten; Rand fing den Anhänger auf, ehe er zu Boden fallen konnte.
»Wir könnten einen Faden durch die kleinen Glieder ziehen, damit die Kette hält«, bot Serena an und sah, wie er das Schmuckstück in seiner Hand betrachtete. »Ich habe Faden in der Hütte. Wenn Ihr wollt, hole ich ihn.«
»Nein«, lehnte er ab. »Die Kette wurde schon zu oft repariert. Ich glaube nicht, dass sie noch halten wird.«
Eine ganze Weile schwieg er und starrte auf das fein getriebene Gold in seiner Hand. Sein Blick war in eine unbestimmte Ferne geschweift; als er dann sprach, klang seine Stimme nachdenklich. »Ich habe sie Elspeth am Tage unserer Verlobung geschenkt. Sie sagte, sie habe niemals etwas so Edles besessen.«
»Der Anhänger ist sehr schön«, betonte Serena. Obwohl sie bei dem Namen seiner Frau einen Stich im Herzen verspürte, hoffte sie inständig, er möge mehr erzählen, ahnte sie doch, dass sein Schmerz leichter zu ertragen wäre, wenn er ihn jetzt mit ihr teilte. »Sie hat Euch gewiss sehr geliebt.«
Rand zuckte die Schultern. »Unsere Verbindung wurde von unseren Familien in die Wege geleitet, aber es mangelte nicht an der Werbung meinerseits. Ich sah Elspeth das erste Mal, als ich meine Knappendienste in einer fremden Burg versah. Mein Freund Kenrick of Clairmont hat uns einander vorgestellt.« Der Anflug eines Lächelns zuckte um seine Mundwinkel. »Ich vermute, er hat es bereut, die Begegnung herbeigeführt zu haben, obwohl er dies in meiner Gegenwart nie zugegeben hat. Sie war atemberaubend und auf eine liebenswerte Art schüchtern. Ihr Vater war ein Ritter und besaß etwas Land. Zwar war er kein wohlhabender Mann, doch bei ihrer Schönheit und ihrem sanften Wesen hätte Elspeth sich die Freier aussuchen können.«
»Und sie entschied sich für Euch.«
Wieder quittierte er ihre Bemerkung mit einem Achselzucken, doch nun hatte sich ein schwaches Leuchten in seine Augen geschlichen. »Ich glaube, bisweilen kann ich äußerst überzeugend sein.«
Das glaubte ihm Serena aufs Wort. »Wann habt Ihr sie geheiratet?«
»Im kommenden Frühling wären es sieben Jahre.«
Vor sieben Jahren war Serena gerade ein Mädchen von
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