Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
verlangen.«
»Ist das so?«, erkundigte sich Silas gleichmütig. »Wie das?«
Dem Gestaltwandler entfuhr ein tierähnlicher Laut, der aus tiefster Kehle kam, ehe er ein selbstzufriedenes Grinsen aufsetzte. »Ich habe dem Schuft die Klinge in den Wanst gerammt, bevor ich aufbrach, Euch die Nachricht zu überbringen.«
»Du hättest ihn stattdessen mitbringen sollen«, erwiderte Silas. »Dieser Fischer hätte mir bestimmt einige Fragen beantworten können. Womöglich wusste er Einzelheiten, die meiner Suche förderlich gewesen wären. Hast du daran gedacht?«
Er bedachte den hünenhaften Mann mit einem vernichtenden Blick, ungeachtet der Tatsache, dass sich dieser stämmige Wächter im Nu in eine tödliche Bestie verwandeln könnte. Doch Silas de Mortaine drohte keine Gefahr. Mithilfe des Drachenkelchs hatte er sich mit seiner eigenen schwarzen Magie umgeben und daher längst seine menschlichen Ängste abgelegt. Alle, die nun in dem üppig ausgestatteten Zelt versammelt waren, wussten dies. Und das ängstliche Schweigen seiner Untergebenen bestärkte Silas noch in seinem Selbstvertrauen.
Dennoch, bisweilen befand er es für ratsam, seine Macht unter Beweis zu stellen. Es war wichtig, die Männer daran zu erinnern, wem sie dienten.
»Ich habe ihm Fragen gestellt«, beeilte sich der große Wächter hinzuzufügen und unterbrach Silas in seinen Gedanken. Die Augen des Gestaltwandlers huschten zu den Gefährten. Niemand schickte sich an, ihm mit Worten beizustehen. »Der Mann wusste nichts. Sagte nur, er habe den Körper mit seinem Netz aus dem Wasser gezogen – einen ertrunkenen Wolf, so beschrieb er es mir. Er wusste gar nicht, was er da an Land gezogen hatte, und wusste auch nichts über den Drachenkelch.«
Nachdenklich stützte Silas das Kinn auf seine gespreizten Finger und gab ein tiefes Brummen von sich. Ungeachtet der Beteuerungen seines Boten war er wütend, dass es ihm versagt geblieben war, den Fischer selbst zu befragen. Seine Gefolgsleute hatten sehr wohl eine Vorstellung davon, was Versagern blühte.
Langsam erhob er sich von seinem Lehnstuhl und stellte sich vor den Boten, der sich alle Mühe gab, nicht hinzusehen, als Silas ein Schwert mit juwelenbesetztem Knauf aus der verzierten Scheide zog. »Jeder Einzelne hier weiß, wie ungern ich enttäuscht werde.«
In dem großen Zelt war es totenstill geworden. Niemand wagte zu atmen.
Silas schürzte die Lippen, während er die vollendete Klinge anhob und mit dem Zeigefinger müßig über den scharfen Stahl strich. »Und wie sehr ich jegliche Unfähigkeit hasse.«
»Ich habe Euch nicht enttäuscht«, erwiderte der Gestaltwandler in stolzem Ton, obwohl ihm schon jetzt bewusst sein musste, dass er die Nacht nicht unbeschadet überstehen würde. »Alle von uns aus Anavrin – jeder Wächter, der hier vor Euch steht – , wir alle sind hier, um sicherzustellen, dass der Drachenkelch wieder seine ursprüngliche Form erhält. Wir dienen unserem Reich, und derjenige, der uns durch den Schleier in die Welt der Sterblichen sandte … «
»Nein«, fuhr Silas scharf dazwischen und schüttelte den Kopf. »Du dienst mir allein. Dies ist meine Welt, und wenn ich den Kelch mit eigenen Händen zurück nach Anavrin bringe, wird mir auch euer Reich gehören. Ich dulde keine Fehler, von niemandem. Nur diejenigen, die mir treu ergeben sind, werden einen Platz an meinem Hof erhalten. Nur die Pflichtbewussten dürfen mir dienen. Alle anderen fallen dem Schwert zum Opfer.«
Mit diesen Worten ließ Silas die Spitze der langen Klinge langsam auf den Boden des Zelts sinken. Der Stahl bohrte sich in die Stelle zwischen Silas’ eleganten, spitz zulaufenden Seidenschuhen und den staubigen Stiefeln des Gestaltwandlers.
»Knie nieder«, herrschte er den anavrinischen Wächter an. Als dieser den gebührenden Respekt vermissen ließ, verschlechterte sich Silas’ Laune noch. »Auf die Knie mit dir, Bursche! Bitte mich um Vergebung für dein Versagen und für die Beleidigung, die du mir mit deiner bloßen Gegenwart zumutest.«
Der Gestaltwandler gab ein Knurren von sich, beugte dann aber langsam das Knie und nahm die unterwürfige Haltung ein, die von ihm verlangt wurde. »Vergebt mir, Mylord. Ich bin Euer Diener.«
Silas sah, wie der Groll in den harten schwarzen Augen seines Gegenübers glomm, ehe der anavrinische Abgesandte das zottelige Haupt zu einer demütigen Verbeugung senkte. Gewiss hatten es auch alle anderen gesehen.
Bei diesem Gedanken spürte er einen schwelenden
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