Der Kelch von Anavrin: Geheimnisvolle Gabe (German Edition)
vollkommen unversehrt geblieben war, aus der Asche und bedeutete einem der Wächter, die schwelenden Überreste zu entfernen. Den wertvollen Schatz an die Brust drückend, staunte de Mortaine über die Wärme, die noch in dem Stein lebte. Eine pulsierende Kraft, die er nach seinen Wünschen und Vorstellungen einsetzen konnte.
»Soll ich mit ein paar Männern nordwärts reiten und nachsehen, was ich herausfinden kann?«
Vom Eingang des Zelts aus warf ihm Draec le Nantres einen gleichgültigen, kühlen Blick zu. Die Flammen der beiden Fackeln beleuchteten das tiefschwarze Haar und die markanten Züge des Söldners. Le Nantres’ Augen besaßen eine eigenartig grüne Färbung, die im unsteten Schein der Fackeln die Schattierungen eines wertvollen Edelsteins annahm. Unverwandt ruhte sein Blick auf Silas. Das war zu kühn für de Mortaines Empfinden. Zu anmaßend. Dieser Ritter hatte etwas Herrisches an sich, selbst jetzt, da er aussah, als habe er tagelang nur wenig Schlaf gefunden. Dunkle Schatten lagen um seine Augen, und wenn sich Silas nicht irrte, wirkte das schmale Gesicht mit dem eckigen Kinn beinahe hager, obwohl niemand einen Mann wie Draec le Nantres als schwächlich bezeichnen würde. Von Nöten gedrückt, das mochte sein, und auf eine unbestimmte Weise gehetzt. Doch schwach war er nicht. Silas de Mortaine duldete keine Schwäche in seinem Gefolge.
»Nein«, erwiderte er nach längerem Schweigen. »Ich denke, diesmal werde ich Euch begleiten. Es sei denn, es wäre Euch lieber, wenn ich hierbliebe?«
»Keineswegs, Mylord.«
Die Antwort kam le Nantres rasch und vollkommen ausdruckslos über die Lippen. Silas traute diesen Worten jedoch nicht recht. Mehr und mehr zweifelte er an der Treue dieses stolzen Ritters.
»Wie lange werden wir Eurer Ansicht nach für den Ritt brauchen?«, fragte ihn Silas.
»Gut eine Woche, Mylord, sofern wir wenig Gepäck mitnehmen und schnell reiten.«
»Ich möchte in weniger als sieben Tagen dort sein«, verkündete Silas. »Wir werden morgen früh aufbrechen.«
Le Nantres deutete eine Verbeugung an. »Wie Ihr wünscht, Mylord.«
Silas wartete, bis der Ritter zusammen mit den Gestaltwandlern das Zelt verlassen hatte, und winkte dann eine seiner Gespielinnen zu sich. Sie erhob sich von den weichen Pelzdecken und Kissen in einer Ecke des Zelts und kam mit geschmeidigem Gang heran, nur halb bekleidet, wie die vier anderen Frauen auch, die de Mortaines fleischliche Gelüste zu stillen wussten.
»Geh ihm nach, los. Und erfüll all seine Wünsche.«
Die Dirne nickte bereitwillig.
»Beschäftige ihn. Sowie er eingeschlafen ist, durchsuchst du sein Quartier.«
»Aber Mylord«, gab sie mit unsicherer Stimme zu bedenken, »er schläft doch nie. Und er erlaubt keiner Frau, über Nacht bei ihm zu bleiben. Er wird mich fortschicken.«
»Dann überzeuge ihn, dass er dich bleiben lässt«, wies Silas sie an. »Du wartest bei ihm, bis er schläft, ist das klar? Dann durchsuchst du seine Kleidung und berichtest mir, was du gefunden hast.«
Wieder nickte sie ehrerbietig, langsamer diesmal, und ein Ausdruck von Zögern trübte ihren durchtriebenen Blick.
»Enttäusche mich nicht«, sagte er warnend.
Silas de Mortaine bedachte die Dirne mit einem gefährlichen Lächeln und bemerkte, wie die Frau in ihrer Angst die Tragweite seiner Drohung erkannte. In diesem Augenblick war sie ihm so treu ergeben wie ein Hund, der auf die Peitsche seines Herrn schaut.
Sie würde ihm gehorchen.
Jeder gehorchte ihm.
An diesem Abend fiel kräftiger Regen, der Rands Vorhaben zunichtemachte, eine weitere Nacht im Freien zu verbringen, weitab von der Enge der Waldhütte. Nach dem innigen Kuss behagte ihm die Vorstellung nicht, noch mehr Zeit in Serenas Gesellschaft zu verbringen. Für ihn war es die reine Qual, sehen zu müssen, wie sie ihrer Mutter in der Kate zur Hand ging und bei der Zubereitung der Fische half, die Rand am Nachmittag gefangen hatte. Eine anmutige Röte stieg ihr in die Wangen, wenn ihre Blicke einander begegneten.
Schweigend nahmen sie das Essen ein. Calandra saß grüblerisch über ihre Schale mit Fischsuppe gebeugt, die schmalen Schultern eingezogen, als müsse sie eine schwere Last tragen. Serena versuchte, ein Gespräch anzufangen, aber Rand war keineswegs in der Stimmung für eine belanglose Plauderei. Nicht, wenn sein Körper noch von heißem Verlangen beherrscht wurde.
Er hatte das Gefühl, überhaupt nicht richtig gegessen zu haben, als die Mahlzeit beendet war. Serena
Weitere Kostenlose Bücher