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Der Kelim der Prinzessin

Der Kelim der Prinzessin

Titel: Der Kelim der Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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Gelegenheit mit den poetischen Ergüssen seines heißverehrten Meisters Jalaluddin Rumi beglückte. Der schmächtige Jalal geriet dabei nicht selten in derartige Verzückung, dass er sich kreiselnd zu drehen begann bis hin zum Zustand völliger Trance. David von Bosra hatte den linken Arm in der Schlacht verloren - angeblich auf der Flucht. Wegen dieser undurchsichtigen Verfehlung war er zwar nicht aus den Reihen der Tempelritter ausgeschlossen worden, aber man hatte ihn zur Buße in die vom Orden längst aufgegebene Stadt abkommandiert, damit er dort den Flügel der Al-Aqsa-Moschee bewachen sollte, der das ursprüngliche Ordenshaus, die Keimzelle der kämpferischen Bruderschaft, beherbergte, von dem sie auch ihren Namen herleitete. Doch davon stand nur noch die ausgebrannte Fassade, und kein Muslim dachte auch nur im Traum daran, diesen Teil des >Tempels< wieder herzurichten. Mit dem Lauf der Jahre hatte man David vergessen, und der einsame Templer legte seine Bußübungen in die Hände des Zimmermanns und suchte das Vergessen seiner Schuld in der Taverne »Zum letzten Nageh. Joshua war eigentlich ein überzeugter und beschlagener Kabbaiist, der sich in der Grotte nur deswegen eingenistet hatte, weil sie leer stand und weil er dort seine Freunde bewirten konnte. Andere Gäste verirrten sich dorthin nie, obgleich Joshua ein weithin sichtbares Schild über dem schmalen Einlass angebracht hatte, das auf diesen Ort zur Einkehr hinwies. Als Zimmermann hätte er noch weniger Arbeit gefunden. Die in Jerusalem verbliebenen Einwohner waren arm und zimmerten sich ihre notdürftigen Verschlage selber. Als William von Roebruk schließlich in der Taverne eintraf, wurde er vom Patron lediglich mit einem geknurrten »Endlich langt er an, unser vierter Mann!« begrüßt, in das David, der einarmige Templer, willig einfiel: »Schande über Euch, säumiger Meister des verruchten Spiels!«, während Jalal al-Sufi dem Langerwarteten sein Kommen gern versüßte: »Willkommen oberster
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    Priester des allerhöchsten Wesens und sein niederster Adept zugleich!«
    Der Franziskaner musste gar nicht erst hinschauen, er wusste, dass auf der Platte des blank gescheuerten Tisches bereits die Pyramide aus den feingeschliffenen, kunstvoll mit mystischen Symbolen bemalten Stäbchen sich erhob, bereit zum Anstich, dem Beginn des >Wesen-Spiels<, das die Freunde bei jeder sich bietenden Gelegenheit vereinte. William spielte es gern, sogar mit Leidenschaft. Zur wahren Meisterschaft hatte er es -
    entgegen der blumigen Ankündigung des Derwischs - nie gebracht. Um diese Krone wetteiferten eher Jalal al-Sufi selbst oder der geniale Joshua. David war ein verlässlicher, aber durchschnittlicher Spieler. Für sich konnte William nur einige - durch Tollkühnheit bedingte - Sternstunden in Anspruch nehmen, leicht aufgewogen durch etliche verheerende Niederlagen. Doch heute stürzte er sich keineswegs, wie von seinen Mitspielern erwartet, in das sofortige Austeilen der ersten Runde, sondern warf den Freunden den Knochen vor, an dem er seit dem Besuch des Lorenz von Orta nagte.
    »Roc und Yeza sollen wieder aufgetaucht sein!«, schnaufte er, kaum, dass er seinen massigen Körper auf die Bank fallen ließ. »Im Norden Syriens will man unsere kleinen Könige gesehen haben -von diesem Gerücht berichtete mir mein Gewährsmann aus Antioch!« William ließ alle seine Zweifel spüren, und die Reaktion fiel auch sehr unterschiedlich aus.
    »Ein Schritt hin zu dem Sehnen unserer Herzen« - jubelte Jalal und sprang auf den Tisch, dass die Stäbchen in der Pyramide erzitterten und das kunstvolle Gebilde Risse bekam - »ist ein Schritt hin zu dem Geliebten!«
    Die ersten Stäbchen verrutschten, was Joshua mit bedenklichen Falten auf der Stirn quittierte. »Augenzeugen gibt es also nicht?«, dämpfte er die Freude des Derwischs, den er mit festem Griff an der Fußfessel nötigte, wieder vom Tisch auf die Bank hinabzusteigen, was Jalal aber nicht hinderte, weiter zu juchzen. »Wenn der einzig Geliebte sich zeigen will, dann weiß? er auch den Weg - «
    »Gewiss!«, grummelte Josh der Zimmermann. »Aber was besagt das für uns?«
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    William hielt sich zurück.
    »Wir müssen die Augen aufhalten«, antwortete ihm David und goss sich aus dem Kruge vom Wein nach.
    »Unsere Herzen!«, verbesserte ihn Jalal al-Sufi leuchtenden Auges und hielt ihm seinen leeren Becher hin. Der Templer ließ sich nicht beirren. »Wenn dem so wäre, würde ich es als Zeichen nehmen, dass meine

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