Der Kelim der Prinzessin
begehrte eine erschöpfte Reisegesellschaft Aufnahme auf Mard' Hazab. Es war El-Aziz, der Sohn des Sultans von Damaskus, der den Unbillen einer Geiselhaft bei den Mongolen entflohen war, begleitet von seiner treuen kleinen Dienerschar, bestehend aus seinem Leibkoch samt Gehilfen, seinen Kämmerlingen und dem Meister des Bades. Der Emir El-Kamil empfing seinen jungen Vetter mit sichtlichem Erstaunen, erschrocken war er nicht, aber auch nicht sonderlich erfreut. Die Tür mochte er ihm nicht weisen, zumal er sich von ihm Informationen erhoffte, was die Pläne der Mongolen anbelangte. Diese seine zunehmende Besorgnis wollte er jedoch seinem jüngeren Verwandten nicht zei-102
gen. Das Gespräch wurde aufgeschoben bis zur Abendtafel, zu der El-Aziz sich anerbot, die Künste seines Meisterkochs beizusteuern. Dem Emir war es recht, einmal, weil er solchen Komfort entbehrte, seit er sich Hals über Kopf auf der unwirtlichen Feste Mard' Hazab eingenistet hatte, zum anderen, weil ihm so die Zeit blieb, dafür zu sorgen, dass Yeza - sicher vor den Blicken fremder Augen - im Harem eingeschlossen wurde.
Während sich der Koch in der verrotteten Küche zu schaffen machte, genoss El-Aziz nach langer Zeit zum ersten Mal wieder die Wohltat eines warmen Bades. Genüsslich plätschernd, fand er auch die Muße, sich Gedanken zu machen, ob er seinen Vetter einweihen sollte, dass er, El-Aziz, sich vorgenommen habe, die Prinzessin Yeza zu finden und zu freien. Doch schnell verwarf er diesen Gedanken, denn El-Kamil war zuzutrauen, dass er diese glorreiche Idee sofort selbst aufgreifen würde. Zufrieden ließ er sich auf das Kostbarste einkleiden und begab sich zu dem angekündigten Mahle.
Sein Koch hatte gezaubert. Zur Eröffnung gab es kalte Forelle, wie sie aus den Bächlein des Gebirges gezogen, das rohe Fleisch geschabt mit Zitrone und allerlei Kräutern angerichtet. Dazu die Eier von Wildtauben und eingelegte Pilze. Der Emir rutschte unruhig auf seinem Stuhl, was nicht dem Anblick der Speise zu danken war, sondern der Herausforderung, Yeza teilhaben zu lassen, ohne dass man die Prinzessin erkennen sollte. Fahrig lauschte El-Kamil dem Bericht seines Vetters, nicht einmal die bedrohliche Tatsache, dass bereits eine Strafexpedition der Mongolen unterwegs sei, machte sonderlichen Eindruck auf ihn. Als die Diener dann das Hauptgericht auftrugen, allerlei Wildbret, vom mit schwarzen Oliven gespickten Hasen bis zum Fasan in roten Früchten des Waldes, zarter Berggazelle bis zum knusprigen Frischling in Weintunke mit geschroteten Nüssen, da hielt es den Emir nicht länger, er raste hinaus und erschien nur kurz später mit einer tiefverschleierten Schönen, der er wortlos den Platz am Kopf der Tafel zuwies. El-Aziz war wie vom Donner gerührt. Er ahnte sofort, dass sich hinter dem Gitterwerk der burqua niemand anderes als Yeza verbergen konnte, doch er fragte nicht, noch schenkte er der Gestalt unziemliche
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Blicke, sondern hielt sich an den Emir, der sich jetzt mit stolzgeschwellter Brust über die Speisen hermachte. Er stopfte alles in sich hinein, mit viel zu großen Bissen zerfetzte und verschlang er die Köstlichkeiten. El-Aziz hingegen legte ausgesucht gute Manieren an den Tag. Er konnte sein Glück kaum fassen und überlegte fieberhaft, wie er es anstellen könnte, mit der Prinzessin Verbindung aufzunehmen, sich als ihr Retter und Befreier zu präsentieren und eine gemeinsame Flucht aus der Einöde dieser Bergfeste in die Wege zu leiten.
Gewiss kein leichtes Unterfangen, doch nachdem ihm schon gelungen war, die Mongolen zu übertölpeln, traute er seinem Einfallsreichtum auch die Lösung dieser Aufgabe zu.
El-Aziz brachte das Gespräch wieder auf die Mongolen, was zwar den Unwillen des Hausherrn erregte -
verunsichert warf er kontrollierende Blicke zu der Dame, die jedoch durch nichts verriet, dass sie eine aufmerksame Zuhörerin war. Es war El-Kamil, der die Existenz des riesigen Kelims auf der Burg ins Spiel brachte. »Mehr als dreißig Knechte waren nötig, um ihn auf den Altan zu schaffen«, prahlte er schnaufend, als hätte er selbst Hand angelegt. Womit er El-Aziz die Möglichkeit gab, nun seinerseits mit launigen Geschichten vom üblen Los des dicken Lulu zu glänzen, wobei er herausstrich, welche wichtige Rolle das Gastgeschenk des Atabegs mittlerweile für die Mongolen spielte, einfach schon aus dem Grunde, dass es, ihnen als Huldigung angekündigt, sie bis heute nicht erreicht hatte.
»Kein Wunder«, beschloss
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