Der Keller
sechs. Die Happy Hour ist gleich vorbei.«
»Ich hoffe, dass Abe und Jack nicht ungeduldig geworden sind.«
»Wir sind es ja wohl wert, dass man auf uns wartet.«
»Stimmt«, sagte Tyler. »Hör mal, ich hab nachgedacht…«
»Über was?«
»Über diese ganze Sache mit Dan. Vielleicht sollte ich die Vergangenheit ruhen lassen und alles abblasen.«
»Kriegst du kalte Füße?«
»Ich habe die ganze Zeit schon kalte Füße. Nichts klappt, verstehst du? Es ist fast so, als hätte es mir das Schicksal nicht bestimmt, ihn zu finden.«
»Schicksal? Was für eine faule Ausrede.«
»Selbst wenn wir ihn aufspüren und er immer noch solo ist - wer weiß, ob wir immer noch … na ja, dieselben Menschen wie früher sind? Ich habe mich verändert. Und er sich wahrscheinlich auch.«
»Trotzdem. Du musst es zumindest versuchen. Du hast nichts zu verlieren.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.«
Nora sah sie besorgt an. »Was ist nur los mit dir?«
»Ich weiß nicht. Nur … gestern schien das Ganze gar keine schlechte Idee zu sein. Aber nach allem, was heute passiert ist…« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe einfach ein ungutes Gefühl bei der Sache.«
»Du bist nervös, das ist alles.«
»Nein. Ich habe so eine Ahnung, dass ich es schwer bereuen werde, Dan wiederzusehen. Ich wünschte, wir wären niemals losgefahren.«
Sie gingen durch die Einfahrt und betraten einen schattigen Fußweg.
»Es war ein harter Tag«, sagte Nora. »Kein Wunder, dass du nicht gut drauf bist. Vielleicht geht’s dir morgen besser.«
»Ja, vielleicht«, sagte Tyler.
Nora öffnete die Doppeltür zum Restaurant. Das Empfangspult, auf dem eine kleine Lampe die Reservierungsliste anstrahlte, war verlassen. Die gedeckten Tische zu ihrer Rechten waren leer. Eine Frau in knöchellangem Kleid beugte sich darüber, um die Kerzen anzuzünden. Aus dem Raum zu Tylers Linken drangen leise Gespräche und das Klirren von Glas.
Sie gingen am Empfangspult vorbei und betraten die Cocktailbar. Mehrere Leute saßen am Tresen: ein Mann, der mit dem Barkeeper scherzte, eine rothaarige Frau mittleren Alters, die ihre Hand auf den Oberschenkel ihres Begleiters gelegt hatte, und ein stämmiger, grauhaariger Mann in Begleitung eines blonden Burschen. Tyler ließ ihren Blick durch den Raum wandern und entdeckte Abe und Jack an einem Ecktisch. »Da drüben …«
»Das ist Gorman Hardy«, sagte Nora und beugte sich vor, als wollte sie einen besseren Blick auf jemanden am Tresen erhaschen.
»Der ältere Kerl neben dem Blondschopf?«
»Der ›Blondschopf‹ ist Brian Blake.«
Tyler konnte nur den Rücken des älteren Mannes und das Profil des Blonden erkennen. »Möglich wäre es«, sagte sie.
»Natürlich sind sie das. Gehen wir rüber und sagen Hallo.«
»Muss das sein?«
»Er ist nicht so ein schlimmes Arschloch, wie man denken könnte.«
»Hab ich auch nie behauptet.«
»Sicher, er ist blasiert, aufgeblasen und ein Schleimer - na und? Komm mit, lass mich nicht im Stich.«
»Also gut.«
Nora winkte Abe und Jack zu und hob einen Zeigefinger, um ihnen zu signalisieren, dass sie noch eine Minute warten sollten. Tyler warf Abe ein Lächeln zu und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
Der jüngere Mann sah über seine Schulter. Es war tatsächlich Brian Blake. Seine grauenhaften Erlebnisse waren die Grundlage für Hardys Bestseller gewesen. Er schien weder Tyler noch Nora wiederzuerkennen, andererseits verweilte sein Blick auch nicht lange auf ihren Gesichtern, bevor er den Rest ihrer Körper musterte. Offensichtlich gefiel ihm, was er sah, und er schenkte ihnen ein Lächeln.
Hardy drehte sich um. »Ladys?«
»Mr Hardy«, sagte Nora. »Wir haben uns auf dem Kongress kennen gelernt.«
Für einen winzigen Augenblick sah er sehr müde aus, dann lächelte auch er. »Ach ja, natürlich.« Sein Blick wanderte von Nora zu Tyler. »Wir haben uns auf der Cocktailparty miteinander unterhalten, nicht wahr?«
»Ich hatte noch nicht das Vergnügen«, sagte Blake.
»Ich bin Nora Branson, und das ist Tyler Morgan.«
»Sehr erfreut«, sagte er und gab ihnen die Hand. »Die Party habe ich leider verpasst, aber ich nehme an, Sie kennen meine Geschichte.« »Ja. Sie ist faszinierend und erschreckend zugleich«, sagte Nora.
»Vielen Dank.«
»Sie hätten mich fast überzeugt.«
Er wirkte amüsiert. »Nur fast?«
»An Geister glaube ich erst, wenn ich mal einen mit eigenen Augen sehe.«
»Touché«, sagte Hardy, lachte und hob seinen Martini. »Ich nehme an,
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