Der Keller
ihre Privatsphäre.«
Tyler lachte.
Nora schüttelte den Kopf und blickte wieder nach vorn.
»Da ist die Seaside Lane.«
Tyler hielt neben einer Reihe von Briefkästen an. Die Nummern
zwei, vier, acht und zehn waren auf das graue Metall gemalt. Sie fuhr daran vorbei und spähte in den schmalen Weg dahinter. »Vielleicht sollten wir von hier aus zu Fuß gehen«, sagte sie. »So weit kann es ja nicht mehr sein.«
»Aber blockier’ ja nicht den Verkehr«, sagte Nora und grinste.
»Gott bewahre.«
Tyler fuhr an der Seaside vorbei. Nach einigen Metern mündete die Straße in einen Parkplatz, und sie hielt vor einem Baum an. Durch eine Lücke in den flachen Hügeln vor ihnen schimmerte der sonnenbeschienene Ozean. Ein schmaler Pfad führte zwischen den Anhöhen hindurch.
»Verdammt«, sagte Nora. »Wir hätten unsere Badeanzüge mitnehmen sollen.«
Als sie ausstiegen, fuhr eine steife Brise durch Tylers Haar und zerrte an ihrer Bluse. Als sie sich umdrehte, schien der Wind sie vor-wärtszudrängen.
Nora steckte die Arme in die Ärmel ihrer roten Jacke. Haarsträhnen umspielten ihr Gesicht. Sie knöpfte ihre Jacke zu und sie gingen los.
Vielen Dank, lieber Wind, dachte Tyler.
Auf der Seaside Lane schützten sie die Bäume vor der Brise, hielten jedoch auch die Sonne ab. Schweigend gingen sie durch die tiefen Schatten.
Tyler zitterte - teils vor Kälte, aber hauptsächlich deshalb, weil durchaus die Möglichkeit bestand, dass sie in wenigen Augenblicken Dan Jenson gegenüberstehen würde. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass er sie nach fünf Jahren wieder willkommen heißen würde, dass sie wieder dort anfangen würden, wo sie damals aufgehört hatten? Gleich null. Aber jetzt war sie hier, und es gab keinen Weg zurück. Sie biss die Zähne zusammen, um sie am Klappern zu hindern.
Aus einer Hütte auf der linken Seite ertönte das Kläffen eines Hundes. Ein hagerer Mann erschien hinter dem Fliegengitter der
Eingangstür. Nora hob die Hand zum Gruß, doch der Mann stand einfach nur da, eine kaum erkennbare Gestalt, die sie anstarrte.
»Na toll«, murmelte Nora. »Bestimmt fängt dieser Hinterwäldler gleich an, Banjo zu spielen.«
Sie gingen an einer Bretterhütte mit vernagelten Fenstern vorbei, hinter der ein reifenloser Bus auf Holzblöcken aufgebockt war. Auf der Seite des Busses war ein Bild gemalt: Ein Geisterschiff mit schlaffen, zerrissenen Segeln, das auf einer im Mondlicht glitzernden See schwamm. Ein menschliches Skelett stand am Bug, und ein riesiger Albatross mit einem Pfeil in der Brust schwebte vor dem Schiff. Über der Tür des Busses hing ein Schild aus Treibholz: KÄPT’N FRANK.
»Dein Dan hat ja interessante Nachbarn«, sagte Nora.
Dann hatten sie das Ende der tristen Straße erreicht. Ein schmaler Pfad führte zu einer kleinen, grün gestrichenen Hütte mit einer überdachten Veranda.
»Das muss es sein«, sagte Nora.
Tylers Herz klopfte wie rasend. »Da steht aber kein Auto.«
»Vielleicht ist er noch nicht zu Hause.«
Sie gingen auf die Hütte zu. Tyler folgte Nora auf die Veranda. Nora klopfte an der Tür. Bis auf eine Schaukel, die am Dach befestigt war, war die Veranda leer. Tyler fand das sehr sonderbar. Sie konnte sich an Ausflüge mit ihren Eltern erinnern, die sie in ähnlichen Hütten verbracht hatte, und deren Veranden waren immer mit allem möglichem Kram vollgestopft gewesen: Angelruten, Köderboxen, Campinglaternen, Kühlschränke voller Limonade und Bier, Regenjacken und Strandtücher an Haken an der Wand. Aber hier lag überhaupt nichts.
»Keine Klingel«, flüsterte Nora. »Du musst anklopfen.« Sie setzte sich auf die Schaukel, die sich quietschend und knarrend in Bewegung setzte.
Tyler klopfte leise an der Tür. Sie wartete, dann versuchte sie es etwas heftiger. »Niemand zu Hause«, sagte sie schließlich.
»Es ist ja auch erst halb fünf«, sagte Nora.
Tyler schirmte die Augen mit den Händen ab und spähte durch eine Glasscheibe in der Tür, konnte jedoch nur eine leere Küche erkennen. »Vielleicht hat sich Barbie in der Adresse geirrt«, sagte sie.
»Das glaube ich nicht. Sie war vielleicht etwas seltsam, aber nicht bescheuert.«
»Na ja, auf jeden Fall ist niemand zu Hause.«
»Sollen wir warten oder willst du es später noch mal versuchen?«
Tyler zuckte mit den Schultern. Einerseits war sie enttäuscht, andererseits spürte sie Erleichterung. Obwohl sie Dan liebend gern wiedergesehen hätte, war sie fast froh darüber, dass er nicht zu
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