Der Keller
wie sie ausging. Sie nahm Abe die Unterbrechung sogar ein bisschen übel. Als sie einen großen Schluck Bier trank, warf Abe ihr einen fragenden Blick zu und schenkte ihr nach.
»Erzählen Sie weiter«, sagte Nora.
Käpt’n Frank sah Abe an, als würde er ihn um Erlaubnis bitten wollen.
»Na, mir machen Sie keine Angst«, sagte er.
»Dann werde ich … dieses Schlachtfest… als es vorbei war, entdeckte mein Vater, dass eine der Kreaturen überlebt hatte. Sie lag unter dem Körper ihrer toten Mutter. Ihr Leib hatte das Neugeborene vor den Kugeln geschützt. Dieses Kind nahm mein Vater in seine Obhut. Die anderen, ihre Körper, sie …« Er warf Abe einen unsicheren Blick zu. »Ihr Fleisch reichte aus, um die Mannschaft wohlbehalten nach Perth zu bringen.«
»Sie haben sie gegessen?«, fragte Nora.
»Mein Vater behauptete, dass sie so ähnlich wie Hammel schmeckten.«
»Reizend.«
»Er taufte die Kreatur auf den Namen Bobo, und obwohl er es nie besonders mochte, hielt er dieses schmutzige Ding für eine Kuriosität und nahm es in einem Käfig mit in seine Heimat. Meine Mutter, Gott hab sie selig, verabscheute Bobo, in der Tat. Sie flehte meinen Vater an, ihn loszuwerden, doch die kleine Loreen war entzückt von der Kreatur und verbrachte Stunden damit, vor ihrem Käfig hinter unserem Haus zu sitzen und mit ihr zu reden, als wäre sie einer ihrer Spielgefährten. Schließlich gewann meine Mutter die Oberhand, und mein Vater willigte ein, Bobo nach San Francisco zu bringen, wo er ihn an einen Wanderzirkus verkaufen wollte. Doch zu unserem Unglück hatte Loreen ihr Gespräch mitgehört und öffnete am nächsten Morgen Bobos Käfig. Er stürzte sich sofort auf sie. Meine Eltern hörten ihre grässlichen Schreie, doch als sie ihr zu Hilfe eilen wollten, war es bereits zu spät. Die Bestie, so klein sie damals noch war, hatte sie in Stücke gerissen, doch zuvor …« Käpt’n Frank sah Abe an und schüttelte den Kopf.
»Mein Vater schlug wie verrückt mit einem Spaten auf Bobo ein. Als er ihn für tot hielt, steckte er die Überreste in einen Mehlsack und schleppte ihn in die Hügel hinter dem Anwesen der Thorns. Das Haus wurde damals gerade gebaut. Er hat die Kreatur dort oben begraben.«
»Aber sie war nicht tot?«, fragte Nora.
»Nach etwas mehr als einem Jahr lagen drei Leichen im Haus der Thorns: Lillys beide Söhne und ihre Schwester. Lilly selbst konnte entkommen, aber sie hatte den Verstand verloren und wurde ins Irrenhaus eingeliefert. Sie gaben die Schuld einem armen Teufel namens Goucher, einem Landstreicher, der am Tag vorher vorbeigekommen war, um sich durch Holzhacken eine warme Mahlzeit zu verdienen. Mein Vater hat die Leichen mit eigenen Augen gesehen, und ihn beschlich ein ungeheurer Verdacht. Er verteidigte Goucher und behauptete, ein wildes Tier wäre ins Haus eingedrungen. Bo-bo erwähnte er mit keinem Wort, da er nicht selbst angeklagt werden wollte. Aber die Leute wollten ihm nicht zuhören. Sie lynchten den armen Goucher, hängten ihn an einem Querbalken auf, in der Tat.
Ich wurde erst sechs Jahre später geboren, das war 1909. Wenn Sie so wollen, bin ich so etwas wie ein Unfall, da meine Eltern kein weiteres Kind wollten - nicht nach dem, was mit Loreen geschah. Ach, sie behandelten mich wie einen kleinen König, und doch lag ein Schatten über unserem Haus. Meine ganze Kindheit hindurch stand das Anwesen der Thorns am Ende der Stadt leer. Niemand war so verrückt, sich auch nur in die Nähe des Hauses zu begeben. Bis 1931 die Kutchs einzogen.
Sie waren gerade aus Seattle gekommen und schlugen alle Warnungen in den Wind. Doch kaum waren ein paar Wochen vergangen, da wurden der alte Kutch und seine Kinder abgeschlachtet. Maggie wurde ebenfalls gehörig in die Mangel genommen, aber … nun, sie wird Ihnen ja alles erzählen, wenn Sie die Führung mitmachen. Was Sie Ihnen aber nicht verraten wird - weil sie es womöglich gar nicht weiß - ist, dass mein Vater in der Nacht nach dem Begräbnis seine Winchester packte und loszog, um die Bestie zu erledigen.
Er war damals zweiundsechzig Jahre alt und hatte seit mehr als dreißig Jahren mit der Schuld gelebt. Doch an diesem Morgen konnte er es nicht mehr länger ertragen. Da erzählte er mir die ganze Geschichte. Er wusste, dass Bobo noch am Leben war und hinter den Morden steckte. Ich flehte ihn an, mitkommen zu dürfen, aber er erlaubte es nicht. Er wollte, dass ich mich um meine Mutter kümmerte, als hätte er zu diesem Zeitpunkt bereits
Weitere Kostenlose Bücher