Der Keller
seiner Tasche. Er lächelte ihr zu und nahm die Hand heraus.
Sie vermutete, dass er ein Diktiergerät dabei hatte und die Führung aufzeichnen wollte.
Ohne Erlaubnis? Natürlich - sonst würde er ja nicht so heimlich tun. Das war zwar illegal, konnte einen Gorman Hardy jedoch nicht abhalten.
Sie fühlte sich in ihrer Meinung über ihn bestätigt.
Gerissenes Arschloch, dachte sie.
Sobald er die Eintrittskarten eingesammelt hatte, ging der dürre
Mann wieder die Stufen hinauf. Oben angekommen drehte er sich um und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Sehr verehrte Damen und Herren«, verkündete er, »es ist mir eine große Ehre, Ihnen die Eigentümerin des Horrorhauses vorzustellen, eine tapfere Frau, die durch das läuternde Feuer des Schmerzes gehen musste und umso stärker daraus hervortrat - Maggie Kutch, ihre persönliche Begleitung auf dieser heutigen Führung.« Wie ein müder Ringrichter machte er eine einladende Geste in Richtung Tür und schlurfte zur Seite.
Eine Frau watschelte aus dem Haus und stützte sich dabei auf einen Gehstock aus Ebenholz. Sie wirkte alt genug, um die Mutter des Mannes sein zu können, doch trotz der Gehhilfe strahlte sie eine gewisse Stärke und Entschlossenheit aus. Sie war ziemlich groß mit breiten Hüften und gewaltigen Brüsten, die unter ihrem verwaschenen Kleid hin und her wackelten, als sie sich gegen das Geländer der Veranda lehnte. Tyler kam sie wie eine strenge Großmutter vor. Sie trug hautfarbene Stützstrümpfe und enge, schwarze Schnürschuhe. Als wollte sie diesen eigentümlichen Eindruck noch verstärken, hatte sie einen hellroten Seidenschal um ihren Hals geschlungen. Ihre Miene wirkte finster, bis sich ihr Gesicht zu einem nicht besonders freudigen Lächeln verzog. Es wirkte fast höhnisch.
»Willkommen im Horrorhaus«, sagte sie, während sie ihren Blick durch die Menge wandern ließ. Tyler verspürte Angst, als sich die Augen der alten Frau auf sie richteten. »Ich bin Maggie Kutch, und dies ist mein Anwesen.« Sie machte eine Pause, als würde sie Widerspruch erwarten. Ihr Publikum lauschte gebannt. Die Leute vermieden es, sie anzusehen, und starrten entweder auf ihre Schuhe oder auf das Gebäude vor ihnen.
»Ich machte das Haus zum ersten Mal im Jahre 1931 der Öffentlichkeit zugänglich. Damals waren gerade mein Mann und meine drei Kinder der Bestie zum Opfer gefallen. Jawohl, die Bestie hat sie geholt, und nicht ein messerschwingender Verrückter, wie man sie vielleicht glauben machen will. Wenn Sie meine Worte anzweifeln, dann sehen Sie sich das hier genau an.« Sie zog den Schal von ihrem Hals. Jemand stöhnte auf, als Maggies Finger über das dicke Narbengewebe an ihrer Kehle fuhren. »Dies hat kein Mensch getan. Es war eine Bestie mit Klauen und Reißzähnen.« Ihre Augen glänzten, als wäre sie stolz auf ihre Wunden. »Es war dieselbe Bestie, die in diesem Haus zehn Menschen tötete. Jetzt fragen Sie sich sicher, weshalb ich Menschen durch ein Haus führe, das der Schauplatz einer solch schrecklichen, persönlichen Tragödie war. Die Antwort ist einfach: G-E-L-D.«
Tyler hörte, wie Gorman leise lachte.
Die alte Frau hob ihren Stock und deutete damit auf einen Querbalken über der Veranda. »Dort oben haben sie den armen Gus Goucher aufgeknüpft. Er war erst achtzehn Jahre alt und auf dem Weg nach San Francisco, um mit seinem Bruder in den Sutro Baths zu arbeiten, einer Badeanstalt, die inzwischen nur mehr eine Ruine ist. Am zweiten August des Jahres 1903 machte er hier Halt, um Feuerholz für Lilly Thorn zu schlagen, der damaligen Besitzerin des Hauses, die mit ihren beiden Kindern hier wohnte. Sie war die Witwe des berüchtigten Bankräubers Lyle Thorn, und meiner Meinung nach erbaute sie dieses Haus mit Blutgeld. Wie dem auch sei - im Gegenzug für seine Arbeit bekam Gus eine warme Mahlzeit, bevor er sich wieder auf den Weg machte.
Und genau in dieser Nacht schlug die Bestie zum ersten Mal zu. Nur Lilly überlebte den Angriff. Sie rannte auf die Straße und schrie, als wäre sie dem Leibhaftigen begegnet.
Sofort fanden sich einige beherzte Männer, die das Anwesen vom Keller bis zum Dach durchsuchten, ohne eine lebende Seele zu finden. Alles, worauf sie stießen, waren die zerrissenen, halb aufgefressenen Leichen von Lillys Schwester und ihrer zwei kleinen Jungen. Die Männer durchstreiften die Wälder und Hügel hinter dem Anwesen und entdeckten dort den selig schlafenden Gus Goucher. Da er ein Fremder war, war sein
Weitere Kostenlose Bücher