Der Keller
Auf einem Stapel Handtücher auf dem Beifahrersitz lag seine blaue Badehose. Er legte die Sachen beiseite und stieg ein.
»Sorry, dass es länger gedauert hat«, sagte Jack. »Ein Polizist hat mich aufgehalten.«
»Wegen der verschwundenen Familie?«
»Du weißt also schon Bescheid. Aber jetzt pass auf.« Er sah in den Rückspiegel und fuhr los. »Sie sind nicht die Einzigen, die vermisst werden. Ich hab gerade mit dem Cop geredet, da kommt dieser Hardy an und sagt, dass sein Kumpel Blake heute Morgen ebenfalls nicht aufgetaucht ist. Hardy hat ihn seit letzter Nacht nicht mehr gesehen.«
»Die Sache spitzt sich zu«, sagte Abe.
»Jau. Der Cop war so fasziniert von dieser neuen Entwicklung, dass er mich grad links liegenlassen hat. Sonst würde ich wahrscheinlich immer noch dort stehen.«
»Nicht so wild. Die Ladys sind offenbar sowieso noch im Geschäft.«
Jack hielt vor Wills Sportbedarf. »Könnte länger dauern«, sagte er. »Zwei Mädels, die sich neue Badeanzüge kaufen? Da können wir unter Umständen den ganzen Tag lang warten. Du kannst mir ja inzwischen erzählen, was du über diesen Jenson rausgefunden hast.«
Kapitel neunzehn
»Hier musst du abbiegen«, sagte Nora.
Tyler sah zu Boden, als Jack in die Beach Lane bog. Sie wollte auf keinen Fall die Straße sehen, die sie gestern entlanggefahren waren. Doch vor ihrem geistigen Auge erschienen das fensterlose Haus, die Wälder zur Linken, Dans Briefkasten. Sie erinnerte sich, wie sie mit Nora den schattigen Pfad entlanggewandert war, erinnerte sich an den unheimlichen Mann, der sie durch das Fliegengitter angestarrt hatte, und an Dans verlassenes Häuschen mit der leeren Veranda davor. Irgendwie hatte sie geahnt, dass ihre Suche nach ihm in einem Fiasko enden würde. Er war seit über einem Jahr tot. Himmel, es war schwer zu glauben. Er wohnt dort? So würde ich es nicht ausdrücken. Käpt’n Frank, dieser alte Wirrkopf, hatte es die ganze Zeit über gewusst. Er hatte sie zum Narren gehalten. Selbst letzte Nacht hatte er kein Wort darüber verloren. Vielleicht hatte er aber auch nicht den Mumm gehabt, mit der Wahrheit herauszurücken. Oder er wollte einfach nicht der Bote sein, der die schlechte Nachricht zu überbringen hat. Vielleicht, weil er sich dafür verantwortlich fühlte. Schließlich war er ja überzeugt davon, dass sein Vater Bobo hierhergebracht hatte.
Sie wünschte, er hätte es ihr erzählt. Dann hätten sie keine zehn Pferde an diesen schrecklichen Ort bringen können, wo Dans Leiche … nein, nicht seine Leiche. Nur eine Wachsfigur.
Sie war ohnmächtig geworden. Gott, sie war in Ohnmacht gefallen! Vor der ganzen Gruppe. Schon bei der Erinnerung daran stieg ihr die Schamesröte ins Gesicht.
Sie war ohnmächtig geworden. Hatte gekotzt.
Als ob alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hielt sie diese Scham jetzt auch noch davon ab, angemessen um Dan zu trauern.
Dan war tot. Sie sollte ihn beweinen und sich keine Gedanken über ihren traurigen Auftritt machen. Doch tief in ihrem Inneren fühlte sie statt Schmerz nur eine Leere, die nichts mit Trauer gemein hatte.
Abe hielt an.
»Alles aussteigen!«, verkündete Nora.
»Geht schon mal vor«, sagte Abe. »Ich werde mich im Auto umziehen.«
»Guckt mal«, sagte Nora, als sie ausgestiegen waren. »Wie es aussieht, sind noch mehr Leute am Strand.«
Auf dem Parkplatz standen zwei weitere Autos und ein Lieferwagen, doch Tyler konnte weit und breit niemanden sehen. »Ich warte auf Abe«, sagte sie.
»Kein Grund zur Eile«, sagte Nora. »Wir können ja alle gemeinsam …«
Jack gab ihr einen Klaps auf den Hintern. »Auf geht’s«, sagte er.
Händchenhaltend und plaudernd schlenderten sie den Pfad hinunter, der zwischen den Hügeln zum Strand führte.
Tyler lehnte sich gegen die Motorhaube des Mustang und starrte auf das braune Gras und den staubigen Pfad vor sich. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass Abe sie durch die Windschutzscheibe beobachten konnte, während er in seine Badehose schlüpfte. Sie fragte sich, warum er sie nicht wie Jack bereits im Hotel angezogen hatte. Seine Gürtelschnalle klirrte, und das Auto machte einen kleinen Satz, als sich Abe in seinem Sitz aufrichtete, um die Hose auszuziehen. Dabei spürte sie eine gewisse Erregung, die ihre Schuldgefühle noch verstärkte.
Ich bin Dan nicht untreu, dachte sie. Es war bereits entschieden. Und jetzt fühle ich, was ich fühle. Tut mir leid, aber ich kann nicht anders.
Schnell knöpfte sie sich die Bluse auf,
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