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Der Keller

Der Keller

Titel: Der Keller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dersch
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gebogen. Es waren die Fänge eines Raubtieres, mit dem es riesige Brocken aus seinen Opfern reißen konnte. Hinter den Zähnen bewegte sich eine schwarze Zunge, wie ein sterbender Fisch.
    Roger konnte den Anblick nicht mehr ertragen und wandte sich ab. Gerade in diesem Augeblick erklang wieder der schreckliche Schrei und fegte den letzten Funken Verstand aus seinem Kopf. Rogers Welt wurde von Schwärze erdrückt. Es war dicke schwere Schwärze. Er fiel in Ohnmacht und glaubte zu sterben.

15.

    „ Hopp, Chico. Jetzt gibt’s Futter. Hopp, steh auf.“
    Sams Stimme hallte durch das Schlafzimmer. Die Schwärze bekam Risse wie ein riesiger Tonkrug, in dem Roger gefangen war. Zunächst drangen nur gedämpfte Geräusche durch die Spalten hindurch. Schließlich folgte grelles Licht.
    „ Jaaaa, guter Junge.“
    Roger öffnete die Augen, erst einen Spalt und dann ganz. Zunächst fehlte ihm jegliche Orientierung. Dann erkannte er das Schlafzimmer wieder und das Bett in dem er lag. Sam stand im Türrahmen und winkte ihm zu.
    „ Morgen Daddy“, sagte er und verschwand in Richtung Treppe. Gleichzeitig erklang das gleichmäßige Tapsen, das Chicos Pfoten auf dem Linoleumboden machten. Roger griff sich an den Kopf und rieb sich mit den Fingern die Schläfen. Das tat er für gewöhnlich nur wenn er rasende Kopfschmerzen hatte. Doch angesichts des gestrigen Traumes schien es ihm auch in diesem Moment angebracht zu sein.
    Der Traum war so real gewesen, wie er nur sein konnte und er war sich sicher gewesen, dass er sterben würde.
    Wenn er die Augen schloss konnte er sich an jede Einzelheit erinnern: An den Geruch im Keller, die Scherben der Christbaumkugel und auch an die…
    FRATZE!
    Normalerweise waren seine Träume nur ein buntes Gewirr, an das er sich bis auf wenige Ausnahmen kaum erinnern konnte. Seine Erinnerungen daran waren lose aneinander geknüpft, wie die Fäden in einem gefälschten Perserteppich. Doch der Alptraum der vergangenen Nacht erschien so klar und scharf vor seinem inneren Auge, wie ein Bergsee an einem Frühlingsmorgen. Die Angst kehrte schlagartig zurück. Doch es war nur ein kurzes Auflodern, das wie ein Stromschlag durch seinen Körper ging und an Kraft verlor.
    Angst konnte an einem sonnigen Morgen genauso schlecht existieren wie ein Vampir, dachte Roger und atmete tief durch. Insgeheim wusste er, dass der menschliche Verstand das Sonnenlicht genauso brauchte wie eine Pflanze für ihre Photosynthese. In der Dunkelheit hingegen versinkt jeder in den dunklen Fluten seines eigenen Wahnsinns, wie ein rostiger Tanker, der Leck geschlagen hatte.
    Roger blieb noch einige Augenblicke im Bett liegen und erfreute sich daran, dass alles nur ein böser Traum gewesen war. Sein Gesichtsausdruck ähnelte dem eines Mannes, dem man mitteilte, dass die Chemotherapie erste Erfolge erzielte. Trotzdem ging er den Schrecken in Gedanken noch einmal durch. Er brauchte nicht lange, um die Gründe für seinen Alptraum zu erkennen:
    Der Stress bei der Arbeit, der Umzug, Lindas Schwangerschaft und der Selbstmord des Klempners – all das hatte sich in seinen Gehirnwindungen verfangen, wie Haare in einem Abflusssieb. Und dieser Traum war so etwas wie ein psychischer Abflussreiniger gewesen, der ihn von alledem erlöst hatte. Die ganze Situation musste ihm aufs Gemüt geschlagen haben und das war eben das Ventil, das sein Körper gebraucht hatte, um mit dem Stress und den Sorgen fertig zu werden, dachte er. Er kam sich lächerlich vor angesichts der Schrecken, die ihn nachts heimgesucht hatten.
    Trotzdem war er erleichtert, dass er noch immer in der Lage dazu war Sachverhalte mit dem Skalpell der Vernunft zu sezieren. Das Studium der Rechtswissenschaften hatte ihn mehr gelehrt, als nur Anträge zu stellen und von Zeit zu Zeit dicke Schecks einzulösen. Es hatte ihn gelehrt, dass sich alles im Leben aus Einzelteilen zusammensetzte, die man beliebig auseinander nehmen konnte wie die Legobausteine seines Sohnes.
    Er fühlte sich frisch und munter und als langsam der Geruch von brutzelndem Speck in seine Nase drang, schlug er die Decke zur Seite und stand auf.
    Roger richtete sich gerade auf, als ein brennender Schmerz sein linkes Bein durchfuhr und ihn wieder zurück ins Bett zwang. Er hob das Bein und erkannte sofort den Grund des Übels. Gleichzeitig begann sich der Raum um ihn herum zu drehen und zu neigen, so als hätte die Realität gerade Schlagseite bekommen.
    Er schloss die Augen bis der Schwindel verflog hatte und riss sie

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