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Der Ketzerlehrling

Der Ketzerlehrling

Titel: Der Ketzerlehrling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Margarets Boten den Vortritt zu lassen.
    Eine junge Frau mit einem Korb am Arm war gerade durch die schmale, auf die Straße hinausführende Pforte eingetreten und kam über den Hof auf ihn zu. Sie war nicht sonderlich groß, wirkte aber hochgewachsen; sie hielt sich gerade und ging mit langen, freien Schritten, leicht und federnd wie der Trab eines munteren Fohlens. Ihr schlichtes graues Kleid schwang mit der Bewegung ihres schlanken Körpers, und ihren Kopf krönte eine dicke Flechte aus dunklem Haar mit einem leichten Anflug von Rot. Als sie die Hälfte der Strecke zwischen ihnen zurückgelegt hatte, blieb sie plötzlich stehen, starrte ihn offenen Mundes und großäugig an, und plötzlich lachte sie hell auf.
    »Du!« sagte sie leise und entzückt. »Bist du es wirklich?
    Oder träume ich?«
    Sie standen beide wie angewurzelt da. Elave, verblüfft von der Herzlichkeit der Begrüßung, starrte fassungslos das unbekannte Mädchen an, das ihn nicht nur zu kennen schien, sondern sich offenbar über das Wiedersehen freute.
    »Erkennst du mich denn nicht?« fragte das Mä dchen.
    Was war er doch für ein Narr! Wer sonst konnte sie sein, die barhäuptig vom Markt der Stadt zurückkehrte? Aber es stimmte, er hätte sie nicht erkannt. Das dünne, spitze Gesicht hatte sich zu einem anmutigen Oval gerundet, die Zähne, die früher ausgesehen hatten, als wären sie zu groß und zu zahlreich für ihren Mund, leuchteten jetzt gleichmäßig und weiß zwischen Lippen, die seine Verblüffung und Verwirrung belächelten. Das lange Haar, das einst strähnig auf mageren Kinderschultern gelegen hatte, sah jetzt, geflochten und um den Kopf gewunden, aus wie eine Krone, und die grünlichbraunen Augen funkelten und blitzten vor Freude, ihn wiederzusehen.
    »Jetzt erkenne ich dich«, sagte er, nach Worten suchend.
    »Aber du hast dich verändert!«
    »Du nicht!« sagte sie. »Brauner vielleicht, und dein Haar ist sogar noch heller, als es früher war, aber ich hätte dich überall wiedererkannt. Du bist ohne Vorwarnung hier aufgetaucht, und sie haben dich gehen lassen, ohne auf mich zu warten?«
    »Ich komme morgen wieder«, sagte er. Es widerstrebte ihm, seine Erklärung hier auf dem Hof vorzubringen; Conan war immer noch in Hörweite. »Mistress Margaret wird dir alles erzählen. Ich hatte Botschaften zu überbringen …«
    »Wenn du wüßtest«, sagte Fortunata, »wie oft und wie lange wir über euch beide gesprochen und uns gefragt haben, wie es euch in diesen fernen Gegenden ergehen mag. Es kommt nicht alle Tage vor, daß sich Verwandte auf ein solches Abenteuer einlassen. Glaubst du etwa, wir hätten nie an euch gedacht?«
    In all den Jahren war er kaum jemals auf den Gedanken gekommen, sich zu fragen, was aus denen geworden war, die sie zurückgelassen hatten. Von allen, die ihm in diesem Hause nahegestanden hatten, war nur William von Bedeutung gewesen, und mit William war er gegangen, mit Freuden, ohne einen Gedanken an diejenigen zu verschwenden, die zurückblieben und hier ihr Leben weiterlebten – und am allerwenigsten an ein schlaksiges kleines Mädchen von elf Jahren mit unreiner Haut und beunruhigendem Blick.
    »Ich glaube nicht«, sagte er verlegen, »daß ich das verdient habe.«
    »Was hat das mit Verdienst zu tun?« sagte sie. »Und du wolltest bis morgen verschwinden? Nein, das kannst du nicht tun. Komm mit mir ins Haus, und wenn es nur für eine Stunde ist. Warum sollte ich bis morgen warten, um mich wieder daran zu gewöhnen, dich vor mir zu sehen?«
    Sie ergriff seine Hand und zog ihn wieder zur offenen Tür.
    Obwohl er wußte, daß es nicht mehr war als die offene und herzliche Freundlichkeit eines Mädchens, das er seit seiner Kindheit gekannt und das ihm während seiner Abwesenheit alles Gute gewünscht hatte, so wie es allen wohlmeinenden Menschen Gutes wünschte, ging er mit ihr wie ein willfähriges Kind, verstummt und bezaubert. Er wäre überallhin mitgegangen, wo sie ihn hinführte. Er hatte ihr etwas zu sagen, was ihre Fröhlichkeit eine Weile dämpfen würde, und danach hatte er keinerlei Rechte auf sie oder dieses Haus und keinen Grund zu glauben, daß sie jemals mehr für ihn sein würde, als sie jetzt war, oder er mehr für sie. Aber er ging mit ihr, und die warme Düsterkeit der Diele nahm sie auf.
    Conan schaute ihnen einen langen Augenblick lang nach, bevor er seinen Weg zum Stall fortsetzte. Seine dichten Brauen waren gerunzelt, und in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

4. Kapitel
    Es

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