Der Ketzerlehrling
täuschend still und harmlos gegen sandige Untiefen plätscherte. Cadfael suchte Beinwell und Eibisch, sowohl Blätter als auch Wurzeln, und er wußte genau, wo diese Pflanzen in größeren Mengen zu finden waren. Frisch zubereitete Wurzeln und Blätter von Beinwell würden Elaves Kopfwunde heilen, Eibisch seine Schmerzen lindern; beides war besser als die bereits zubereiteten Salben oder die aus getrockneten Materialien hergestellten Umschläge in seiner Hütte. Im Sommer bot die Natur alles, was nötig war. Gelagerte Medikamente waren für den Winter da.
Er hatte seine Tasche gefüllt und war im Begriff, sich auf den Rückweg zu machen – ohne jede Eile, denn es war noch reichlich Zeit bis zur Prim –, als sein Blick auf eine seltsame, bleiche Wasserpflanze fiel, die von der sanften Strömung unter den überhängenden Sträuchern hervorgeschwemmt wurde, dann wieder zurückdriftete und dabei schmutzigweiße Blütenblätter hinter sich herzog. Das bewegte Wasser verbarg sie, nachdem die frühmorgendliche Sonne den Dunst durchbrochen hatte, von Zeit zu Zeit mit wandernden Lichtpunkten. Einen Augenblick später trieb sie wieder hervor, jetzt voll sichtbar, und diesmal war zu erkennen, daß sie an einem dicken, bleichen Stengel saß, der unvermittelt in etwas Dunklem endete.
An diesem Abschnitt des Flusses gab es Stellen, an denen der Severn manchmal Dinge ablud, die er weiter stromaufwärts eingefangen hatte. Bei niedrigem Wasserstand konnten Gegenstände, die oberhalb der Brücke ins Wasser geraten waren, gewöhnlich an dieser Stelle wieder herausgeholt werden. Nur die von winterlichen Stürmen oder dem Tauwetter des Februars angeschwollenen Fluten rissen sie weiter mit sich und beförderten sie stromabwärts, vielleicht bis nach Attingham, oder hielten sie in der Tiefe zwischen anderen Sturmtrümmern unwiederbringlich fest. Cadfael kannte fast alle Strömungen und wußte jetzt, aus welcher Wurzel diese bleiche, schlaffe Pflanze wuchs. Die Helligkeit des Morgens, die wie eine Rose erblühte, als der feine Wolkenschleier zerriß, schien den vielversprechenden Tag eher zu verdunkeln.
Er setzte seine Tasche ins Gras, schürzte sein Habit und kletterte zwischen den Sträuchern hindurch in das seichte Wasser hinab. Der Fluß hatte den Ertrunkenen mit gerade genügend Kraft und im richtigen Winkel herbeibefördert, daß er sicher unter der Böschung festsaß. Er lag ausgestreckt da, mit dem Gesicht nach unten, nur der linke Arm lag so im tieferen Wasser, daß er von der Strömung getragen und bewegt werden konnte. Es war ein magerer Mann mit abfallenden Schultern in einem mausgrauen Kittel und ebensolcher Hose; überhaupt hatte der ganze Mann etwas Mausgraues an sich, als hätte er sein Leben in leuchtenderen Farben begonnen, die von den Entmutigungen der Zeit ausgeblichen waren. Schütteres Haar, eher grau als braun, umgab einen kahl werdenden Schädel.
Aber es war nicht der Fluß, der ihn geholt hatte, er war mit Absicht in ihn hineinbefördert worden. Im Rückenteil seines Kittels war ein langer Riß, an dessen oberem Ende herausgesickertes Blut den groben Wollstoff durchtränkt und dunkel gefärbt hatte. Und da, wo sein gekrümmter Rücken aus dem Wasser herausragte, war das Blut auf den Falten des Tuches bereits zu einer Kruste getrocknet.
Cadfael stand bis zu den Waden im Wasser, zwischen dem Fluß und dem Leichnam, um zu verhindern, daß womöglich die Strömung den Toten, wenn er gestört wurde, wieder erfaßte. Er drehte ihn um und blickte in das lange, verzagte und verdrossene Gesicht von Girard von Lythwoods Schreiber Aldwin.
Es gab nichts, was man noch für ihn hätte tun können. Er war vom Wasser durchweicht und zweifellos schon seit vielen Stunden tot. Aber Cadfael konnte ihn auch nicht hier liegenlassen, während er Hilfe herbeiholte, weil es möglich war, daß der Fluß den Leichnam wieder an sich riß. Cadfael packte ihn unter den Armen, zerrte ihn durch das seichte Wasser bis zu einer Stelle, an der das Ufer sanft abfiel, und zog ihn dann auf die grasbewachsene Böschung hinauf. Dann machte er sich eilig auf den Rückweg über den Uferpfad zur Brücke. Dort verweilte er einen Moment, unschlüssig, welchen Weg er einschlagen sollte – hinauf in die Stadt, um Hugh Beringar die Nachricht zu überbringen, oder zurück in die Abtei, um Abt und Prior zu informieren? – doch dann entschied er sich für die Stadt. Chorherr Gerbert würde nur auf die Nachricht warten, daß der Ankläger nie wieder gegen
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