Der Killer im Lorbeer
Sutherly nicht auf der Spitze des Felsens erbaut worden, hätten die Waliser die Burg damals eingenommen.«
»Wann, damals?«
»Vor 900 Jahren.« Ich steige höher, Rosys Schritte bleiben aus. »Kommst du?«
»Ich hole nur was aus dem Auto. Lauf schon.«
Rosemary ist die Schnellere von uns beiden. Ein kleiner Vorsprung kommt mir gelegen. Ich nehme zwei Stufen auf einmal.
Rosy will immer eine Wetterjacke im Auto haben. Wenn es regnet, läuft sie deshalb morgens mit ihrer anderen Regenjacke zum Auto. Schlägt das Wetter tagsüber um, zieht sie sie aus und vergisst sie im Wagen. Am nächsten Morgen muss sie bei Regen daher das Ölzeug anziehen. So kommt es, dass manchmal drei Jacken im Wagen liegen und keine oben über der Garderobe hängt.
Sie schließt den Wagen auf und öffnet die Hintertür.
Eilige Schritte. Ein harter Griff. Rosemary wird auf den Rücksitz gedrückt, mit dem Gesicht nach unten.
»Sie wollen mein Leben zerstören? Ich zerstöre Ihres!« Hände wie Eisenklammern pressen Rosys Arme auf den Rücken.
»Wissen Sie, was Sie uns antun! Sind wir nicht gestraft genug?«
Ruhe bewahren, Zeit gewinnen, das persönliche Gespräch aufnehmen, die Verhandlung suchen. So oder so ähnlich lauten die goldenen Regeln für Polizisten, die in eine Situation geraten. Für eine Beamtin mit Rosys Dienstjahren gab es schon eine Menge davon. Als der Raubmörder ihr in der leeren Fabrikhalle auflauerte. Als der entlarvte Ehefrauenkiller sie überfahren wollte. Als sie in einer Garage mit Auspuffgasen zum Schweigen gebracht werden sollte. 21 Jahre bei der Polizei, davon 18 beim Dezernat für Kapitalverbrechen, da bleiben bedrohliche Erlebnisse nicht aus.
Wie sucht man das persönliche Gespräch, wenn das eigene Gesicht im Kissen mit dem Mops steckt? Rosy fand das Hundekissen immer spießig und wollte es wegwerfen. Ich hänge daran. Der letzte Hund meines Vaters war ein Mops. Er liegt im Rosenbeet begraben.
Sie windet sich, versucht die Arme freizukriegen. Körperlich ist ihr der Gegner überlegen. Staub dringt in Rosys Nase. Das Kissen riecht übel.
»Wie fühlt sich das an, hm?«, hört sie. »Nichts tun können – hilflos sein, hilflos! Wie ich!«
Da der Mann sie gleichzeitig schüttelt und tiefer ins Kissen drückt, ist seine Stimme kaum erkennbar. Wer bedroht eine Polizistin? Jemand, der nicht nüchtern überlegt, was er sich mit dieser Tat einhandelt. Jemand, der verzweifelt ist. Wer benimmt sich so? Was bezweckt er? Ist er betrunken?
Rosy kriegt keine Luft mehr. Will er sie ersticken? Hätte er Rosy töten wollen, wäre die Tat schon geschehen. Dieser Mann lässt Dampf ab, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.
Sie bäumt sich auf, dreht den Kopf mit äußerster Anstrengung zur Seite. Sie könnte um Hilfe schreien, ich bin noch in der Nähe. Rosemary schreit nicht um Hilfe.
»Hören Sie auf, Mr Black!«, keucht sie stattdessen. »Hören Sie mir zu.«
Einen Moment lang wird der Griff schwächer. Er lässt nicht los.
»Sie wollen mir etwas sagen. Tun Sie es! Aber nicht so!«
»Sie glauben mir nicht! Sie glauben mir ja doch nicht! Warum glauben Sie mir nicht!«
Mit äußerster Kraft reißt er Rosy hoch. Sie ächzt vor Schmerz. Hat er ihr die Schulter ausgekugelt? Er stößt sie nach unten.
»Es trifft immer den Falschen! Immer mich, immer!«
Der Mann hat sich nicht in der Gewalt, das macht ihn so gefährlich. Rosy versucht still zu liegen. Widerstand würde ihn noch mehr reizen.
Ein Auto, quietschende Reifen, ein Ruck, als der Motor abstirbt. Der Schrei einer Frau.
»Sam! Um Himmels willen, Sam!«
Es ist das Erste, das ich höre. Dichtes Gebüsch umwuchert meine Treppe, es schluckt Geräusche. Ich höre nichts außer meinem Atem. Doch dann eine aufgeregte Frauenstimme. Ich bleibe stehen. Nicht zu erkennen, was unten passiert. Der Volvo wird von einem anderen Wagen angestrahlt.
»Rosy, was ist denn?«, rufe ich. »Rosy!«
Ich laufe los. Das ist zumindest meine Absicht. Eine steile, ungesicherte Treppe sollte man niemals mit Pantoffeln hinunterrennen. Keine fünf Stufen, und ich strauchle. Suche Halt. Holunder, Weigelia, wilde Pflaume – schöne Sträucher, prächtig, wenn sie in Blüte stehen, jeder in einem anderen Monat. Zum Festhalten taugen die biegsamen Zweige nicht. Ich fasse links und rechts. Die Äste brechen nicht, aber sie geben nach. Junge Blätter glitschen durch meine Finger.
»Sam, hör auf!«, höre ich von unten.
Auf dem Parkplatz rennt eine Frau im gesteppten Morgenmantel auf
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