Der Kimber 1. Buch: Ehre (German Edition)
hatte er Agnar zu einem Sonderpensum in Astrologie verdonnert, das ihn die ganze folgende W o che die Hälfte seiner Nachtruhe kostete. Da er sich nicht wehren durfte, verfiel er auf den Geda n ken, den Spöttern die Freude zune h men, indem er selbst seine Absonderlichkeiten übersteigerte. Er hielt sich bewusst aufrecht, um seine Größe zu b e tonen, achtete darauf, dass sein Umhang stets tade l los sauber war und besor g te sich aus den Beständen seines Vaters einen Schi m melhengst, um das Weiß seiner Haut durch diese ei n heitliche Ausstattung noch zu b e tonen. Bald wurde den anderen auch wirklich das Spiel langweilig, da ihr Opfer sich ja offensichtlich nicht mehr darüber aufregte Zu Wids Ärger war dem Spott die Spitze genommen. Man ließ Agnar in Ruhe.
Doch Wids reger Geist hatte bereits eine neue Bo s heit erfunden. Er begann mit dem, was er als „g e mütliche Abende“ bezeichnete. In verdächtig aufg e räumtem Tonfall bat er Agnar sich neben ihn zu setzen und b e gann zu monologisieren. Ausführlich verbreitete er sich über die glanzvolle Geschichte ihrer Familie, über ihre hohe Ehre und das Ans e hen, das sie unter allen Stä m men genossen. Die dynastischen Verknüpfungen mit den Königshä u sern der Nachba r völker wurden bis in alle verwi r renden Einzelheiten aufgedröselt, wobei Wid über die Herkunft und die Bedeutung jeder einzelnen Königin und Nebenfrau genauestens Bescheid wusste. Um seinem Schüler diese bedeutenden I n formationen auch voll und ganz vermitteln zu kö n nen, nahm er s o gar ein Stöckchen und kratzte komplizierte Stam m bäume in den weichen Sandb o den. Er hatte bald he r ausgearbeitet, dass seine e i gene Mutter die rechtmäßige Frau und Kön i gin seines Vaters gewesen war. Sie war eine Prinzessin der Ambronen gewesen, und die Ehe hatte zur Be i legung der kriegerischen Auseinanderse t zungen der beiden Völker geführt. Eine unbedeutende kleine Nebenfrau hatte allerdings einen Vorsprung in S a chen Fruchtbarkeit, so dass sie die Mutter des näch s ten Königs wurde. Erst ein halbes Jahr später hatte die Ambr o nenprinzessin ihren Sohn zur Welt gebracht, Wid, den neuen obersten Priester. An dieser Stelle b e gann Wid über die schlechten Zeiten zu klagen, in d e nen man zu leben gezwungen war. Agnar war sich s i cher, dass Wid nicht zuletzt B o jord für diesen Umstand verantwortlich mac h te. So schlecht waren die Zeiten, jammerte Wid fort, so ungewiss die Zukunft, dass es einem dahergelauf e nen Bastard gelingen konnte, sich in die glanzvol l ste Herrscherfamilie des Nordens einz u schleichen.
Nur selten gelang es Agnar, sich der dauernden Übe r wachung durch Wid zu entziehen. Dieser ac h tete fast krankhaft darauf, dass sein Neffe stets in seiner Nähe war um als Zielscheibe für seine G e hässigkeiten zu dienen. Er entließ seinen Neffen nur, wenn die Befr a gung des Orakels oder andere rituelle Handlungen se i ne Anwesenheit erforderten. Unter Berufung auf Agnars Unreife hatte er es durchgesetzt, dass der junge Priester bis auf weit e res von diesen wichtigen Zerem o nien ausgeschlo s sen blieb. Stattdessen jagte er Agnar oft schon Stunden zuvor aus dem Wagen und verbot ihm unter Androhung aller denkbaren Strafen, vor dem nächsten Morgen zurückzukehren. Agnar ve r schwand in die umliegenden Wälder. Er liebte die Stunden des Alleinseins in denen er versuchte, ke i nen Gedanken an seine beinahe unerträgl i che S i tuation zu verschwenden. An diesen Tagen wiede r holte er für sich die Lektionen, die Fjörm ihm erteilt hatte. Er versuchte seinen Geist zu öffnen um die Natur auf sich wirken zu lassen. Ab und an gelang es ihm, den tranceähnlichen Zustand der Verse n kung zu erlangen, den er vor langer Zeit als Kind erreicht hatte. Er entzog sich den Visionen nicht, obwohl die Vorzeichen immer düster und unhei l bri n gend erschienen. In diesen Momenten vermis s te er Fjörm am meisten, mit ihm zusammen hätte er die richtige Deutung gefunden. Doch so war er stets uns i cher, ob er hier die Zukunft des Stammes oder nur seine eigene miserable Gege n wart sah. Allein in den Wäldern, abgesondert von Haup t treck, blieb er die Nacht über wach. Wenn er sich dann am frühen Mo r gen ins Lager zurück schlich, lag Wid regelmäßig in tiefem, fast ohnmachtähnl i chem Schlaf, so dass auch Agnar die fehlende Nachtruhe nachholen kon n te.
Wids Laune war an den nachfolgenden Tagen i m mer schlecht, und entsprechend unausste h lich war er zu Agnar. Seit
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