Der Kimber 2. Buch: Rache (German Edition)
einige Stunden später erwachte er wieder. Das Ze r ren an seinem Kopf hatte endlich aufgehört, und er füh l te, dass er auf einer Schütte Stroh lag. Im Moment waren keine Stimmen zu hören, so dass er n o chmals in Ruhe versuchen konnte, in seinem Gedächtnis einen Erinn e rungsfetzen oder einen vergessenen Traum zu finden. Zu seiner grenze n losen Erleichterung war der Nebelstreif nicht verschwunden, sondern sogar dichter und heller geworden. Er versuchte sich an den Streifen heranzuta s ten, der bei seiner Annäherung jedoch zurückwich wie sein eigener Schatten. Es schien ihm, als müsse er, um näher zu kommen, durch einen flachen Stollen gleiten, dessen Boden und Decke voll Unruhe waren und dessen Seiten sich in der Unendlichkeit ve r loren. Langsam und stoßweise atmend schaffte er es, sich soweit zu konzen t rieren, dass er die verschwommenen Bilder genauer wahrnehmen konnte, bis sich die Szenerie schlaga r tig erhellte. Er erkannte, dass der Boden des vermeintlichen Stollens ein heftig bewegtes Meer von unbestimmter Farbe war. Die Wa s seroberfläche war durch den Sturm aufgewühlt, der über sie hinwe g fegte. Fahnen von Gischt lösten sich aus den We l len und sprühten durch die Luft. Das Wasser war dunkel, die Gischtfetzen hatten dieselbe finstere Farbe wie die Wellen, als ob der Ei n druck von Dunkelheit nicht durch die Tiefe der See entstanden w ä re, sondern eher als ob eine dichte Verfärbung jedem einzelnen Wassertropfen dieses Meeres ein finsteres Schwarz verlieh. Schaudernd wandte er den Blick nach oben. Die Decke des Schachtes bildeten vom Sturm g e triebene Wolken. Dicht an dicht und so tief zogen die Wolkenfetzen dahin, dass sich Himmel und Meer bein a he zu berühren schienen. Was er für einen N e belstreifen gehalten hatte, zeigte sich nun als der helle Streifen des Horizontes, der ganz in der Tiefe der Szenerie aufleuc h tete. Er wusste sofort, dass hier am Ende dieses Infernos etwas auf ihn wartete, das ihm G e borgenheit geben konnte, doch die Angst vor den G e walten, die ihn davon trennten, ließ ihn zurüc k schrecken. Ein Gefühl schnürte ihm die Luft ab, dass er auf dem Weg zum Hor i zont in Gefahr war. In Gefahr, zwischen den beiden unendlichen Flächen des Himmels und des Wassers zermalmt und für immer vernichtet zu werden. Doch hier, wo er jetzt war, konnte er nicht bleiben, zu stark war die Versprechung, die der Lichtstreif au s strahlte. So stürzte er sich zwischen die Elemente.
Wie ein Vogel im Wind glitt er durch den Spalt zwischen Wolken und Gischt und spürte das kalte Sprühen des Wassers auf seiner Haut. Es schien ihm, als wolle sein Flug oder vielmehr sein Sturz kein Ende fi n den. Jedoch veränderte sich der helle Nebel, je näher er ihm kam. Er zog sich zusammen und schien sich abzukugeln; aus dem Streifen wurde ein heller Fleck, statt des Horizontes sah er in der Ferne nur noch i m mer das Meer, das sich in die Unendlichkeit fortsetzte. Das Licht, das ihn hierher g e lockt hatte, war nichts als eine winzige Insel, die im du n keln Ozean fast weiß leuchtete. Er schlug auf dem Boden auf und krallte seine Finger in den feinen Sand, der das Eiland bedeckte.
Nur mühsam konnte er seine Enttäuschung b e herrschen, denn das einzige, was er in seinem Gedächtnis gefunden hatte, kam ihm vollkommen unbekannt vor. Nichts von dem, was sein bisheriges Leben gewesen war, hatte er festhalten können. Nichts, außer dem Bild einer winzigen Insel, die er noch nie zuvor mit seinen Augen gesehen hatte. Lange lag er wie erstarrt am Ufer, bis er sich schließlich müde und schwerfällig zusa m mennahm um das kleine Eiland zu erkunden.
Die Luft hier schien weniger bewegt, obwohl um ihn herum die Wellen in höchstem A u fruhr gegen den Strand schlugen. Auf der kleinen Anhöhe, die sich in der Mitte der Insel erhob, wuchsen in spärl i chen Büscheln steife Gräser, die vom Wind niedergebogen wu r den. Der helle, weiche Sand leuchtete in einem Licht, das den Farben eine unnatürl i che Intensität verlieh. Er umrundete das kleine Stück Land, und als er auf der anderen Seite ang e kommen war, sah er eine schäbige Fischerkate, tief zw i schen hohen, steifen Gräsern versteckt. Die Tür, die zur See hin gelegen war, schien fest verschlossen. Er ve r suchte, durch die Ritzten des maroden Schu p pens zu spähen, doch konnte er im Inneren nichts als undurc h dri n gliche Dunkelheit wahrnehmen. Er wich zurück. Der Schuppen aus verwaschenem Treibholz e r füllte ihn mit Unbehagen, ja
Weitere Kostenlose Bücher