Der Kinderdieb
eine Schüssel und setzte sich neben Grille und Danny.
Danny starrte stirnrunzelnd auf sein Frühstück. »Mehr gibt’s nicht? Das reicht ja kaum, um den Boden zu bedecken.«
»Was beschwerst du dich?«, fragte Grille. »Ich dachte, du hasst diesen Schmier.«
»He, seht euch mal das an!«, sagte Danny. Er hielt sich die Brille vors Gesicht, zog sie auf, setzte sie wieder ab und kniff die Augen zusammen. Dann blickte er auf.
Grille und Nick taten es ihm nach.
»Danny?«, fragte Grille. »Was zum Teufel machst du da?«
»Was … sagt … man … dazu?«, sagte Danny. »Ich sehe jetzt
ohne
Brille besser. Dieser Zauberschleim schmeckt vielleicht wie Baumrinde, aber mannomann, er ist
guuut
.« Er stand auf, drehte sich zur Seite und zog sein Hemd hoch. »Seht euch maldas an.« Er tätschelte sich den Bauch. »Mein Bäuchlein ist fast weg.«
»Du ziehst ihn nur ein«, sagte Grille.
»Tu ich nicht. Ich verwandele mich in eine brutale Kampfmaschine.«
»Also bitte!« Grille schlug auf den Tisch und lachte.
»Wisst ihr«, fuhr Danny fort, »wenn wir rausfinden könnten, was in diesem Brei drin ist, könnten wir zu Hause ein paar Millionen machen.«
»Wir kommen nie wieder nach Hause«, sagte Grille, und als ihnen klar wurde, wie recht sie hatte, schwiegen alle.
»Ich schon«, sagte Nick. »Ich werde von hier verschwinden.«
Grille und Danny starrten ihn an.
»Was soll das heißen?«, fragte Grille.
»Das soll heißen, dass ich nach Hause gehe.« Er hielt inne. »Ich muss zu meiner Ma zurück. So oder so, ich muss einfach.«
»Wie willst du das anstellen?«, fragte Danny.
»Das weiß ich noch nicht.«
Ein trauriges Lächeln umspielte Grilles Lippen. Sie streckte den Arm aus und nahm Nicks Hand. »Ich bin sicher, dass es eine Möglichkeit gibt.«
»TEUFEL!«,
rief Peter. »Zu mir. Ich habe euch was zu erzählen!«
Peter holte tief Luft. Die Teufel bildeten einen Halbkreis um ihn. Sie saßen auf dem Steinboden, auf ihren Käfigen oder lehnten sich an Baumwurzeln, lärmten und stachelten einander auf. Peter blickte von einem Gesicht zum andern: Schnitter, der, ohne ein Wort zu sprechen, durch den Nebel gegangen war; Huck, der darüber gelacht hatte; Dirk und Flitz, die ständig stritten, aber nicht auseinanderzukriegen waren; Ivy mit ihren wunderschönen Locken und einem Hängelid an demAuge, auf das ihre Mutter sie geschlagen hatte, weil sie sich geschminkt hatte; Amos, der Mormonenjunge, den man verbannt hatte, weil er gottlos war. Wie sehr sie den Teufeln der ersten Generation ähnelten, vor der großen Schlacht, den Jungen und Mädchen, die so mutig in den Tod gegangen waren.
Peter beugte sich zu Tanngnost rüber. »Sie sind bereit, soweit das möglich ist. Bist du es auch?«
Der alte Troll schnaufte verärgert und stemmte sich hoch. »Nein, aber ich werde mein Bestes geben.« Er trat vor die Teufel, richtete sich zu voller Größe auf und schlug einmal mit seinem Stab auf den Boden, so fest, dass der Knall laut durch den Raum hallte. Das vielstimmige Geplapper erstarb.
»Diese Geschichte ist nicht leicht zu erzählen«, begann Tanngnost, und sein tiefer Bariton erfüllte die Halle. »Vielleicht wäre sie es, wenn die Worte mir von einem anderen weitergegeben worden wären. Doch dies ist keine alte, verstaubte Legende, sondern eine Tragödie, die sich tatsächlich zugetragen hat, und ich war dabei und habe sie beobachtet. Ich habe das Gemetzel gesehen, die Schreie gehört, das Blut gerochen, und ich verspüre nicht das Bedürfnis, dieses Grauen noch einmal zu durchleben. Das habe ich oft genug in den Albträumen getan, die mich seither plagen. Doch man verlangt von euch, dass ihr euer Leben für Avalon riskiert. Ihr verdient es, die Wahrheit zu erfahren, zu wissen, wofür ihr kämpft. Es ist also an der Zeit, die Geschichte noch einmal zu erzählen.«
Der Troll räusperte sich. »Wir haben frisches Blut in unseren Reihen. Für diejenigen unter euch, denen diese Geschichte noch neu ist, ist sie hoffentlich lehrreich und inspirierend. Denjenigen, die sie nicht erst einmal, sondern schon viele Male gehört haben, soll sie als Erinnerung daran dienen, wer wir sind und warum wir nicht aufgeben. Für mich ist es wichtig, die Ereignisse jenes entsetzlichen Tages weiterzugeben, damit die Taten der Verstorbenen nicht vergessen werden. Dies ist eineGeschichte über das Böse, über den Tod und über Heldenmut. Es ist meine Geschichte. Eure Geschichte. Es ist die Geschichte von den Fleischfressern.«
Stille
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