Der Kinderdieb
Das Morgenlicht schimmerte auf seinem königlichen Geweih. Er schlug sich zweimal mit der Faust auf die Brust und hob Caliburn, sein mächtiges Schwert, hoch über den Kopf. Überall am Waldrand erklang Hörnerschall. Als er das Schwert senkte, stürmten wir los.«
Alle lauschten andächtig.
»Elfen, Gnome, Minotauren, Zentauren, allerlei Feenvolk, Trolle und selbst die Kobolde waren dem Ruf des Gehörnten gefolgt. Nie zuvor hatte man ein solches Heer gesehen. Ich werde den Tag nie vergessen, als Feinde von alters her ihre Zwistigkeiten begruben, um gemeinsam Avalon zu verteidigen. Wir waren gekommen, um unsere Welt zu retten. Ich wusste, dass man tausend Lieder über dieses Heer singen würde, und ich war stolz darauf, mich in seinen Reihen zu befinden. All meine Sinne waren wach. Nie hatte der Tau so frisch gerochen, nie zuvor war die Luft so klar gewesen. Ich hob mein Schwert, heulte und folgte dem Gehörnten in die Schlacht.«
Peter nahm einen Speer von der Wand und richtete ihn auf einen imaginären Feind.
»Wir stürmten mit weit über fünfhundert Kämpfern los. Das war vielleicht ein Anblick, wie wir mit erhobenen Waffen und flatternden Bannern auf den Feind zuhielten, und ein Geräusch wie von Donner, als wir unsere Schwerter und Speere gegen unsere Schilde schlugen. Niemand heulte lauter als die Teufel. Wir waren begierig darauf, die Meeresfluten mit dem Blut der Eindringlinge rot zu färben. Wir hielten direkt auf ihr Lager zu, doch sie warteten weiter in ihren Gräben. Wir dachten, dass sie zu verängstigt waren, um uns auf dem Schlachtfeld entgegenzutreten. Wir kamen aus einem anderen Zeitalter und wussten nichts von moderner Kriegsführung, nichts vom Kampf mit Musketen und …
Kanonen
.«
Peters Stimme wurde leiser.
»Alle fünf Schiffe versetzten uns eine Breitseite. Der Donner der Kanonen war so laut, ich schwöre, ich kann noch heute ihren Widerhall hören. Ich sah, wie Gliedmaßen von Körpern gerissen wurden. Wie Leiber sich in Fleischklumpen verwandelten. Wie ganze Köpfe sich zu Blutfontänen auflösten.«
Seine Stimme brach.
»Niemals hätte ich ein solches Gemetzel für möglich gehalten.Diejenigen, die nicht von der ersten Salve getötet oder verstümmelt worden waren, standen unter Schock und wussten nicht, ob sie weglaufen oder kämpfen sollten. Sie begriffen kaum, wie ihnen geschah. Allzu viele standen einfach mit aufgerissenen Augen da und wurden niedergemäht, als Salve um Salve unsere Reihen auseinanderfetzte. Die Luft war von ihren Schreien erfüllt, ihren Angst- und Schreckensschreien.«
Peters Stimme war nun voller Stolz.
»Aber nicht die Teufel. Nein, wir haben nicht den Kopf verloren.
Wir
waren es, die dem Gehörnten zur Seite standen,
wir
waren es, die nicht verzagten. Er drang weiter vor, und wir folgten ihm. Die Männer in den Gräben standen auf und feuerten ihre Musketen ab, und erst dann erlitten die Teufel schwere Verluste. Der Gehörnte wurde mehrfach getroffen, aber er rückte weiter vor. Er kletterte die Böschung rauf und griff an. Dann zahlten sie den Preis. Die Männer schrien und flohen vor seinen funkelnden Augen und seinem grausigen Schwert, als er durch sie hindurchstapfte und sie dutzendweise niedermähte. Die Teufel sammelten sich an seiner Seite, und dann hörten wir den Donner, und die Erde brach unter unseren Füßen auf, als überall um uns herum Kanonenfeuer explodierte. Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, lag der Gehörnte reglos auf einem Hügel aus verbrannter Erde. Sein Leib war zerschlagen, und um ihn herum lagen die Leichen der Kämpfer unseres Clans.«
Peter zerbrach seinen Speer überm Knie, und die Teufel zuckten zusammen.
»Die Menschen hatten den großen Gehörnten getötet. Sie haben meinen
Clan
getötet.«
Peter senkte das Kinn auf die Brust. Als er die Augen schloss, sah er noch immer ihre Gesichter vor sich, ihre misshandelten, zerschmetterten Leiber, roch den Gestank verkohlten Fleisches. Der Rest war ein einziges Durcheinander: Sekeu, die ihn auf dem Weg zurück über den Strand stützte, dicker, erstickenderQualm, Schmerzen, das beständige Klingeln in seinen Ohren, wie sie beide durch den Wald gestolpert waren und versucht hatten, nicht in den Blut- und Eingeweidepfützen auszurutschen, als sie über die Leiber der Toten und Sterbenden geklettert waren.
Dann sprach Tanngnost wieder, sehr leise zwar, doch inzwischen war es so still in der Halle, dass kein einziges Wort unterging. »Damit ist die Geschichte noch nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher