Der Kinderdieb
blutdurchtränkte Lederkleidung. »Scheiße, Mann. Du hast einen üblen Schlag abgekriegt.«
»Mir geht’s gut.« Nicks Tonfall klang barscher als beabsichtigt. Er machte sich von dem wilden Jungen los und bedeckte die Wunde hastig mit der Hand.
»In Ordnung, Mann. Kein Problem. Hauptsache, du sagst mir, wenn du Hilfe brauchst.« Blutrippe setzte zu einem weiteren Satz an, zögerte, schien nach den richtigen Worten zu suchen und platzte dann mit einem Wortschwall heraus. »Hör mal, das muss ich dir jetzt mal sagen. Du hast dir heute deine Klingen verdient. Sechs von den Bösen hatten es auf deinen Arsch abgesehen, aber du bist bei Sekeu geblieben. Du bist geblieben, obwohl du hättest wegrennen können. Dazu braucht man mehr als Mumm. Ich sage dir, das ist etwas, das tiefer geht.« Er nahm Nick bei der Schulter. »Ich will nur, dass du das weißt, Bruder. Wenn du mich brauchst, bin ich für dich da.« Er bedachte Nick mit einem weiteren irren Grinsen und rannte dann nach vorne, um nach Peter und Sekeu zu sehen.
Einen Moment lang vergaß Nick die Schmerzen und das Brennen in seinem Bauch. Das, was er in den Augen des wilden Jungen bemerkt hatte, ließ sich nicht abstreiten. Blutrippe war sein Freund, die Sorte Freund, die ihm bis zuletzt zur Seite stehen würde. Nick stellte fest, dass er Tränen in den Augen hatte.
Der Fluss wurde schmaler und floss klarer und schneller, spritzte in Stromschnellen über große Felsbrocken und das steinige Ufer hinweg. Sie hatten alle Spuren der Geißel hinter sich gelassen. Die meisten Bäume hier trugen noch Blätter. Sie erreichten eine Reihe großer, flacher Steine, die über den Fluss führten, und sprangen von einem zum anderen, um das schnell dahinströmende Wasser zu überqueren. Die drei Schwestern beachteten die Trittsteine nicht. Sie stippten die winzigen Füße ins tosende Wasser und tanzten direkt über die Wellen hinweg.
Am anderen Ufer war das Laub dichter. Hier und da entdeckteNick eine Blume und auch einige Feen, die sie ängstlich aus dem Schutz der Bäume beobachteten. Nick bewunderte ihre leuchtend bunten Flügel.
Ja
, dachte er,
sie sind so hübsch. Wie köstlich es wäre, ihre kleinen Knochen in meinen Händen zu zerbrechen
. Nick schüttelte den Kopf.
Nein
, befahl er sich.
Aufhören
. Doch dieser
andere
, dieses Etwas, das tief in ihm drin saß, wollte nicht aufhören.
Der Pfad öffnete sich zu einem langgestreckten Hof. Trübe Watbecken erstreckten sich links und rechts des Weges. Verschrumpelte Seerosenblätter und Algen lugten hier und da aus dem Wasser. Mit braunem, trockenem Moos überwachsene Menhire säumten die Becken in regelmäßigen Abständen. Einige von ihnen waren umgefallen und lagen halb unter Wasser auf der Seite. Vor ihnen war ein hoher Torbogen in einen hoch aufragenden weißen Felsen gehauen. Über der Spitze des Bogens teilte sich ein kleiner Wasserfall. Das uralte Holztor war verriegelt.
Peter gab einen Laut von sich, als hätte man ihm einen Schlag in den Magen versetzt. »Wie?«
»Sie hat den Weg zum Hort beschritten und ist nicht zurückgekehrt«, sagte der alte Elf. »Der Garten welkt ohne ihre pflegende Hand.«
Sie betraten einen Hof, und Peter wurde immer langsamer und starrte auf einen Teich. Zwischen den Algen und dem Unkraut lagen die zersplitterten Überreste mehrerer goldener Kugeln. Peter blieb stehen. Er wirkte gepeinigt und mutlos.
Tanngnost trat hinzu und stellte sich neben ihn. »Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen am schwersten treffen.«
Sie durchquerten eine Reihe von Höfen, bis sie schließlich bei einem großen, überwucherten Feld ankamen, das von wilden Hecken und zerbröckelnden Bögen eingefasst war. Nick zählte zehn dieser Bögen. Der Elf führte sie ans andere Ende desFelds bis zu einem kleinen, unauffälligen Bogen, der hinter einer struppigen Hecke verborgen war und wie ein Drachenmaul aussah. Mehrere Zähne waren abgebrochen und lagen im Unkraut verstreut.
Sie durchquerten den Bogen, der Weg wurde schmaler und schlängelte sich durch dichtes Unterholz, zwischen hoch aufragenden Bäumen und riesigen Felsbrocken hindurch. Er stieg entlang eines Steilhangs an und führte sie in eine Felsspalte, bis er schließlich unvermittelt vor einer glatten Mauer endete. Links und rechts erhoben sich die hohen Felswände und tauchten Peters Trupp in tiefe Schatten.
Die Felsspalte roch nach feuchter Erde und Verfall. Beindicke, mit bösartigen Dornen gespickte Ranken hatten sich einen Weg aus dem
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