Der Kinderdieb
erneut das lang gezogene Fiepen. Es sandte Nick einen Schauer über den Rücken, und er fragte sich, wie ein so leises Geräusch so schrecklich klingen konnte.
Nick ging zum Klo rüber. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und ein schmaler, flackernder Lichtstrahl fiel durch die Öffnung. Als er eine Hand an die Tür legte und drückte, wurde sie von innen aufgerissen, und er sah sich Leroy gegenüber. Doch anscheinend nahm Leroy ihn überhaupt nicht wahr. Der Junge starrte an ihm vorbei zur runden Tür.
»Er ist hier«, flüsterte Leroy und schob sich an Nick vorbei.
Bevor Nick etwas sagen oder tun konnte, erklang ein weiteres qualvolles Fiepen aus dem Klo. Er spähte durch die Tür und riss die Augen auf. Auf dem Steinboden neben dem Toilettenloch lag ein einzelner zerdrückter Pixieflügel, an dessen Ansatz noch ein Streifen blutiges blaues Fleisch hing.
Das durchdringende Fiepen ertönte erneut. Es klang wie eine Maus, die der Katze schon im Maul steckte, und es kam ausdem Abtrittloch. Nick wollte nicht hinsehen, doch er schob sich trotzdem näher heran und spähte in die Grube hinab. Er entdeckte zwei blaue Pixies, die in den klebrigen schwarzen Netzen hingen, einen Jungen und ein Mädchen, die beide dichte Mähnen von Spinnwebenhaar auf dem Kopf hatten. Das Mädchen schien unverletzt, doch der Junge sah tot aus. Sein Leib war zerschmettert, als hätte jemand ihn zerquetscht, und er hatte zwei blutige Wunden am Rücken, wo man ihm die Flügel ausgerissen hatte.
Das Mädchen stieß einen markerschütternden Schrei aus, und das blaue Leuchten seiner Haut verstärkte sich und erhellte die Grube. Da sah Nick sie, weit unten in ihrem Loch, zwischen Scheiße und Gestank: Hunderte schwarzer Spinnen, in deren winzigen, kalten Augen sich das blaue Licht spiegelte. Er hörte ihr Scharren, als sie an dem Netz emporkletterten. Das Mädchen schrie erneut und wollte sich befreien.
Die Spinnen erreichten den Jungen, krabbelten zu Tausenden über seinen Leib, woraufhin der Gepeinigte ein schrilles Wehklagen ausstieß.
»Oh Gott!«, schrie Nick, als er begriff, dass der Junge noch lebte.
»Lieber Himmel!«
Die Spinnen rissen den Jungen aus dem Netz und zerrten ihn in ihr Loch hinunter, wo er unter ihren schwarzen, ölig glänzenden Leibern verschwand.
Dann kamen sie zurück, um sich das Mädchen zu holen.
Hol sie da raus
, befahl Nick sich.
Schnell! Beeil dich! »NEIN!«,
sagte er grob.
Sie ist zu weit unten. Es geht nicht. Unmöglich!
Trotzdem fand er sich plötzlich auf einem Knie wieder, und seine Hand hing über dem Loch. »Nein! Nein!«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Dann waren die Spinnen über ihr. Sie schrie, und Nick steckte den Arm bis zur Schulter ins Loch, wobei er mehrere gummiartige Spinnweben zerriss. Er packte das Pixiemädchen und erwischte dabei gleich noch eine Handvoll Spinnen. Er spürteihre festen, haarigen Beine und ihre weichen, feuchten Leiber, die sich in seinem Griff wanden, und er merkte, wie sie ihm eine ätzende Flüssigkeit in die Hand spritzten, als er das Mädchen aus dem Netz riss.
Nick verspürte einen schmerzhaften Stich in der Hand, wie von einer Wespe, und dann noch einen und noch einen. Er schrie, doch er ließ das Mädchen nicht los. Schnell setzte er sich auf und riss seinen Arm und den Pixie aus dem Loch. Lange, zähe Fäden dehnten sich und zerbarsten, als er sich von dem Loch entfernte. Die Spinnen krallten sich wie Blutegel an seine Hand, und ihre flachen, wanzenartigen Leiber wurden faltig und runzlig und glänzten von klebrigem, milchigem Schleim. Nick ließ das Mädchen zu Boden fallen und schlug und kratzte sich hektisch die Spinnen vom Arm. Er sprang auf und wollte sie zertreten, während sie wie kleine Krebse in Richtung Loch davonkrabbelten.
Böse rote Quaddeln überzogen seine Hand und sein Handgelenk. Er wischte sich über den Arm, um das stinkende Netzgewebe abzureißen. Dann fiel sein Blick auf das Pixiemädchen: Auch sie war von Schmutz und klebrigen Fäden bedeckt. Ihre Flügel zitterten, und ihr Blick war voller Schrecken, doch allem Anschein nach würde sie durchkommen.
Nick hörte Leroy lachen.
Sein Widersacher trat ins flackernde Laternenlicht, hielt inne und schaute zu ihm herein. Nick sah, dass Leroy ein Schwert in der Hand hielt, und begriff dann, dass es sich um Maldiriel handelte. Leroy lächelte ein seltsames, ausdrucksloses Lächeln und ging weiter.
»Was soll das?«, sagte Nick halblaut und rannte zur Klotür hinaus.
Es dauerte
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