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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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WAR ES NICHT!«
    Tanngnost hielt nicht mal inne, sondern stürmte in vollem Galopp auf ihn zu.
    »ICH WAR ES NICHT!«,
rief Nick erneut, und dann rannte er los. Die schweren Schritte Tanngnosts folgten ihm durch die Tür in den wirbelnden, nächtlichen Nebel hinaus.
     
    Als Nick es schließlich wagte, anzuhalten, wünschte er sofort, dass er es nicht getan hätte. Beim Rennen war zu sehr damit beschäftigt gewesen, den Wurzeln, Dornen, Steinen und Löchern auszuweichen, um sich über irgendetwas anderes Gedanken zu machen. Doch jetzt, als er sich schwer gegen einen umgestürzten Baumstamm lehnte und sein Atem etwas weniger heftig ging, hörte er die Nacht, und er hörte die Dinge
in
der Nacht.
    Der Wald knarrte und ächzte. Nick dachte daran, wie die Bäume im Flüsterwald miteinander gesprochen hatten, und fragte sich, ob die Bäume um ihn herum ebenfalls sprachen. Ob sie den Wesen mit den Klauen, Zähnen und Stacheln mitteilten,dass er hier war, und ob sie diesem anderen, diesem dunklen Etwas sagten, dass er allein war.
    Nick spähte angestrengt in die tieferen Schatten. Er konnte diesen anderen dort draußen spüren, wie er die Nacht nach ihm abtastete. Nick griff nach seinem Schwert und stellte fest, dass er es zurückgelassen hatte. Aber er hatte immerhin ein Messer dabei, das er jetzt zog. In seiner Hand fühlte es sich klein und unbedeutend an.
    Ich kann nicht hier draußen bleiben
, dachte er.
Ich muss zurück. Ich kann das klären, oder? Nein
, warnte ihn eine Stimme von weiter innen.
Nein, das kannst du nicht
. Er wusste, was er im Gesicht des Trolls gesehen hatte, und in Grilles und Dannys Augen. Tanngnost hatte gesagt, dass Nick sich verwandelt hätte.
In was verwandelt?
Wahrscheinlich in einen Fleischfresser. Er hatte bemerkt, wie sie ihn im Auge behalten hatten. Man musste nur eins und eins zusammenzählen. Jetzt dachten sie, dass er Sekeu ermordet hatte.
Peter wird mich töten, sobald ich ihm unter die Augen trete
.
    Er ging wieder los und hielt dann inne.
Wohin gehe ich?
»Nach Hause«, flüsterte er.
Ich muss nach Hause, zurück zu meiner Ma. Auf die eine oder andere Art
. Er schüttelte den Kopf.
Ich finde nicht einmal einen Weg aus diesem gottverdammten Wald. Wie soll ich es da bis nach Hause schaffen? Ich bin am Arsch
, dachte er.
Total am Arsch
.
    Er hörte etwas in der Ferne, aus der Richtung, aus der er gekommen war. Es klang nach Schritten.
Sind schon hinter mir her? Peter und die Teufel?
Er würde nicht warten, bis er es herausfand. Eilig lief er den Hang hinab, als ihm plötzlich klar wurde, dass er keine Ahnung hatte, in welche Richtung er unterwegs war. Nach allem, was er wusste, lief er vielleicht gerade zum Teufelsbaum zurück. Auf einmal war
es
da, direkt vor ihm, auf einer kleinen Lichtung, die vom schimmernden Bodennebel erhellt wurde. Eine hochgewachsene Gestalt in einem langen, zottigenUmhang. Die Gestalt trug einen Helm mit einem breiten, gebogenen Geweih darauf, und sie hielt jemanden fest –
Leroy
. Anscheinend redete sie mit dem Jungen.
    Das gehörnte Geschöpf wandte sein Gesicht Nick zu. Aus den Tiefen seiner Sichtschlitze starrten glühende Augen. Diese Augen, diese brennenden Augen hefteten sich auf Nick, und im selben Moment packte ihn eine so lähmende Angst, dass er auf die Knie sank.
    »Lauf, kleines Häschen. Lauf.«
    Nick stellte fest, dass er sich wieder bewegen konnte. Hektisch kraxelte er auf Händen und Knien den Hang hoch, kam stolpernd auf die Beine und rannte los.
     
    Peter führte die Teufel heimwärts zum Teufelsbaum. Während er durch die Nacht lief, versuchte er seine Gedanken auf den morgigen Tag zu richten und nicht an Abraham zu denken. Die Hexe hatte ihm geholfen, den Leichnam zu finden. Der enthauptete Leib das Jungen hatte nackt und verstümmelt auf einem brennenden Feld gehangen. Die Hexe hatte sich dem Trauernden gegenüber fast schon mitfühlend verhalten. Es war ihr Land und damit ihr Sumpf, dessen Grenzen die Fleischfresser so unverschämt übertreten hatten. Sie war kampfbereit und begierig darauf, Blut zu sehen. Damit war es abgemacht.
Morgen
, dachte Peter.
Morgen bringen wir es zu Ende.
    Sie erklommen den höchsten Punkt des Pfades, und Peter sah den Teufelsbaum unter sich liegen. Er blieb stehen. Die Tür zu ihrer Feste stand offen, und im Türrahmen war der Schattenriss von Tanngnost zu erkennen, mit einer Axt in der Hand.
    Was ist bloß passiert?
, fragte Peter sich und rannte den Hang hinunter. Als er näher kam, sah er die

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