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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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Tafel. Wer von euch will mein Freund sein? Wer trinkt mit mir?«
    Keiner der Jungen regte sich oder sagte etwas, während sie alle auf den Becher starrten.
    »Loyalität ist etwas Ehrbares. Aber eine Loyalität, die auf Lügen gründet, ist fehlgeleitet. Ich würde wagen, zu behaupten, dass ihr von Peter nur die halbe Wahrheit erfahren habt. Würdet ihr mir gestatten, euer Bild von der Wahrheit zu vervollständigen?« Der Kapitän hob die Brauen und blickte von einem Gesicht zum nächsten. »Niemand hat Einwände? Das ist doch schon mal ein guter Anfang.
    Vor langer Zeit habe ich mich bereit erklärt, diese guten Leute«,der Kapitän wies mit einer ausholenden Handbewegung auf die beiden Prediger, »diese Heiligen, in die Neue Welt zu bringen. Es handelte sich um eine Gruppe von Pilgern, deren einzige Absicht darin bestand, religiöser Verfolgung zu entkommen und einen friedlichen Ort zu finden, an dem sie ihren Glauben ausüben konnten.«
    Der Kapitän deutete eine Verneigung in Richtung der beiden humorlosen Männer mit den ausdruckslosen Mienen an und fragte sich zum millionsten Mal, welchen unverschämten Akt der Gotteslästerung, welche grauenvolle fleischliche Sünde er wohl begangen hatte, damit Gott ihn dazu verdammte, nicht nur eine, sondern gleich mehrere Lebensspannen mit diesen Fanatikern zu verbringen. Hatte es damit zu tun, dass er sich in Portugal vier Huren auf einmal genommen hatte, von denen drei Schwestern waren und eine die Mutter, um sich an all ihren Vorzügen zugleich zu erfreuen? Oder lag es daran, dass er eine Kiste Kommunionswein aus dem Kloster gestohlen hatte? Oder vielleicht daran, dass er den Namen des Herrn so oft missbraucht hatte, wie Sterne am Himmel standen? Er kam einfach nicht darauf, welche seiner Sünden so groß gewesen sein sollte, dass er jetzt zur Strafe mit diesem Haufen hier festsaß. Wahrscheinlich war es etwas, das er in einem früheren Leben getan hatte.
    Er verdrängte den Gedanken und fuhr fort: »Zwei Stürme hatten uns weit vom Kurs abgetrieben, und unsere Vorräte waren gefährlich knapp. Eine schlimme Krankheit hatte bereits zahlreiche Opfer gefordert. Wir waren der See müde und hatten nur noch wenige Rationen Regenwasser, als sich uns plötzlich diese Küste hier zeigte. An jenem Tag sank ich auf Hände und Knie nieder und küsste den Strand. Nie zuvor war ich so erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Die Heiligen wollten unbedingt Jamestown erreichen, bevor das Wetter schlechter wurde. Also schlugen wir unser Lagerauf. Wir wollten nur bleiben, bis wir frisches Wasser aufgenommen und unsere Vorräte aufgestockt hatten. Doch dann kamen die Dämonen.«
    Er seufzte tief, bei der Erinnerung an die Ereignisse.
    »Mehrere Frauen kamen voll Entsetzen ins Lager gerannt und schrien etwas von Dämonenmännern. Ich hatte von den Ureinwohnern Amerikas und ihren primitiven Gebräuchen schon gehört und dachte zuerst, wir hätten es nur mit weibischer Hysterie zu tun, doch was ich sah, erschütterte mich bis ins Mark. Das waren keine indianischen Stammesangehörigen, sondern Dämonen. Abscheuliche Wesen mit Hörnern und Schwänzen, spitzen Ohren und goldenen Augen, halb Tier und halb Mensch, Geschöpfe, die nur dem Abgrund der Hölle entstiegen sein konnten und
die kamen, um uns zu holen
. Wir schrien ihnen zu, dass sie verschwinden sollten, aber sie ließen nicht von uns ab. Wir hatten keine Ahnung, welche magischen Kräfte sie besaßen, ob sie uns verhexen konnten, uns verfluchen oder Seuchen über uns bringen. Als sie nicht abdrehten, erschoss ich ihren Anführer und weinte fast, als ich merkte, dass sie tatsächlich sterblich waren. An jenem Tag schlugen wir sie zurück. Wir begriffen, dass das Land verhext war, und schickten uns an, sofort abzureisen. Doch noch während wir die Zelte abbrachen, kam der Nebel. Er war anders als alles, was ich in meinen zwanzig Jahren auf See bisher erlebt hatte, so dicht, dass man ihn beinahe anfassen konnte. Und er war lebendig. In ihm trieben die Gesichter der Toten und andere schreckliche Dinge, die sich mit Worten nicht beschreiben lassen. Der Nebel wälzte sich aus dem Wald hervor und hüllte die Schiffe ein. Man konnte nicht mehr vom Bug bis zum Heck sehen. In dieser Erbsensuppe Segel zu setzen, bei all den Klippen und Riffen, wäre gleichbedeutend damit gewesen, sich bei lebendigem Leib im Meer zu ertränken.«
    Er blickte in die Runde, und alle waren wie gebannt.
    »Da regte sich in mir der Verdacht, dass wir

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