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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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einmal mehr. Der Wind legte sich, und die Luft war nun abgestanden. Es roch nach Erde, nach Alter. Der Nebel wurde immer kälter und heller, als ob er aus sich selbst heraus leuchtete. Schließlich gestand Nick sich ein, dass das Ganze langsam komisch wurde und dass es vielleicht keine besonders schlaue Idee gewesen war, einem goldäugigen Jungen mit spitzen Ohren zu einer magischen Insel zu folgen.
    »Bleib dicht bei mir«, flüsterte Peter, »und sei so leise wie möglich. Schließlich sollen
sie
nicht wissen, dass wir hier sind.«
    Nick konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer außer ihnen zu dieser Nachtzeit hier unterwegs sein sollte, aber er verhielt sich trotzdem still.
    Sie waren vielleicht zehn Minuten durch den Nebel gegangen, als Nicks Fuß sich in etwas verfing und er zu Boden stürzte. Er ließ das Skateboard fallen, und seine Hände rutschten durch nasse, kreidige Erde – sie war von grauer Farbe, genau wie der Nebel. Nick konnte sich nicht genau erinnern, wann der Asphalt loser Erde gewichen war. Allerdings war er nicht sonderlich überrascht. Er hatte sich schon gedacht, dass Peters Feste sich höchstwahrscheinlich auf einer Müllhalde oder auf einem verlassenen Werftgrundstück befand. Allerdings war er sehr wohl überrascht, als die Erde an seinen Fingern sich in Rauchfäden auflöste, als ob sie selbst ein Teil des Nebels wäre. Dann fiel ihm auf, worüber er gestolpert war: Es handelte sich um ein weißes Etwas mit zwei großen, dunklen Löchern. Nick kniff die Augen zusammen, beugte sich vor und begriff, dass er einem menschlichen Schädel in die Augenhöhlen starrte.
    Der Schädel war halb begraben und von einigen letzten Resten wurmzerfressener, trockener und aschgrauer Haut umhüllt. Auf dem Scheitel klebte noch ein Büschel blondes, zu einem Zopf geflochtenes Haar. Dann entdeckte Nick etwas, bei dem es sich um einen Unterarmknochen handeln musste, und ein paar verstreute kleinere Knochen.
    »Heilige Scheiße!« Nick stand hastig auf. »Peter«, flüsterte er und versuchte krampfhaft, seine Angst zu bändigen.
    Sein Begleiter war jedoch verschwunden. »Peter«, zischte er erneut.
    Wo ist er hin?
Er blickte sich um. Peter war nirgendwo zu sehen. Um ihn war nichts als gleichförmiges, waberndes Grau.Nick hatte keine Ahnung, aus welcher Richtung er gekommen war und wohin er ging. Sein Atem beschleunigte sich. Er hatte das Gefühl, dass der Nebel sich um ihn zusammenzog, als müsste er ersticken, als würde er verschlungen.
    »Peter«, rief er, diesmal ein bisschen lauter, und dann, noch lauter: »Peter!« Er wusste, dass er die Kontrolle über sich verlor und dass er wahrscheinlich jeden Moment zu schreien anfangen würde.
    Peter erschien im Nebel. »Ich habe dir doch gesagt, dass du dicht bei mir bleiben sollst«, sagte er grob.
    »Peter, da sind Knochen. Menschenknochen! Was geht hier …«
    Der seltsame Junge legte ihm einen Finger an die Lippen. »Psst. Sonst hören
sie
uns.« Seine todernste Miene ernüchterte Nick.
    »Wer sind
sie?
«, fragte Nick fast lautlos. Plötzlich war er ausgesprochen beunruhigt.
    Doch Peter antwortete nicht. Stattdessen bedeutete er dem Jungen mit einem knappen Wink, ihm zu folgen.
    Nick hatte nicht vor, auch nur einen weiteren Schritt in diesem gespenstischen Niemandsland zu tun. Doch als der Nebel sich um ihn schloss, ihn mit kalten, klammen Fingern berührte und über seine Haut kroch, als Peters Rücken kaum noch zu sehen war und Nick begriff, dass er einmal mehr allein zurückbleiben würde, verpuffte seine Entscheidung, und er rannte los.
    Nick hielt sich so dicht wie möglich an Peter und achtete sorgfältig darauf, wo er hintrat, für den Fall, dass hier noch mehr Knochen rumlagen. Und natürlich sah er mehr Knochen, sehr viel mehr Knochen, und nicht nur das: Er bemerkte Helme, Schwerter und Schilde, die größtenteils wirkten, als stammten sie direkt aus den Kreuzzügen. Beinahe wäre er auf eine Steinschlosspistole getreten, und dann fiel sein Blick auf diemodrigen Überreste eines Dreispitzes, der für Nick wie ein Piratenhut aussah. Etwas weiter entfernt entdeckte er ein Skelett, an dem noch dünne, ledrige Haut hing. In einer Hand hielt es eine Feldflasche und in der anderen einen ramponierten britischen Waffenrock. Rund hundert Meter weiter lagen die Überreste eines Mannes in einer verstaubten Uniform aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Die verrotteten Finger des Soldaten waren noch im Tod in seine Augenhöhlen gebohrt.
    Als Nick im

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