Der Kinderdieb
breitet das Gift sich aus.« Sie hielt ihm eine Hand hin.
Peter zögerte.
»Es ist alles in Ordnung«, versicherte sie.
Peter nahm ihre Hand, und sie führte ihn über den Pfad. Die Elfen begleiteten die beiden, drei vorne und drei hinten. Peter blickte im Gehen zu der Frau auf. Sie lächelte ihm zu. Er kam zu dem Schluss, dass es ihm gefiel, die Hand einer Königin zu halten, dass es ihm sogar sehr gefiel.
Der Pfad führte sie zu einer üppigen Waldlichtung. In der Mitte der Wiese befand sich ein runder Teich, um den große, flache weiße Felsbrocken lagen. Ein kleiner Wasserfall plätscherte über die Steine und sandte ein sanftes Kräuseln über die Oberfläche des Teichs. Das Wasser war kristallklar.
Peter entdeckte kleine, farbenfrohe Fische, die einander direkt unter der Oberfläche jagten, und auf den zweiten Blick fiel ihm auf, dass sie menschliche, männliche und weibliche Oberkörper hatten. Angehörige des geflügelten kleinen Volks flitzten über die Wasseroberfläche und fingen umherfliegende Insekten.
Die Dame löste die Schnalle an ihrer Schulter und ließ ihr Gewand zu Boden gleiten. Sie watete in den Teich, bis ihre Fingerspitzen das Wasser berührten. Das Sonnenlicht glitzerte auf der Wasseroberfläche und tanzte über ihre strahlend weiße Haut. Sie schloss die Augen und hob das Gesicht zur Sonne, um es in der Wärme zu baden.
Dann sprach sie Worte, die Peter nicht verstand, und versank im Wasser.
Die Elfen verteilten sich, kauerten sich zwischen die Felsen und behielten den Wald im Auge.
Peter wartete darauf, dass die Dame wieder auftauchte. Er wartete lange. Niemand konnte so lange die Luft anhalten. Er drehte sich zu den Elfen um, doch keiner von ihnen schien sich Sorgen zu machen. Er ging ans Ufer, sah etwas unter derWasseroberfläche aufblitzen, und dann bemerkte er sie – eine silbrige Gestalt, die wie ein Fisch im Teich umherschwamm. Sie tauchte vor ihm auf und winkte ihn zu sich.
Peter nahm seinen Wolfspelz ab und streckte die Zehenspitzen ins Wasser. Es war kühl, aber nicht kalt. An einem so warmen Tag fühlte es sich angenehm an. Er watete bis zur Hüfte in den Teich und spürte, wie etwas ihn am Knöchel kitzelte. Die Fischmenschen flitzten um seine Füße herum und schnappten nach aufgewirbelten Schlammteilchen.
Die Dame nahm ihn bei der Hand und zog ihn ins tiefere Wasser, bis er gerade noch auf den Zehenspitzen stehen konnte. Dann ließ sie sich hinter ihn treiben und legte ihm die Arme auf die Schultern. Peter versteifte sich sofort.
»Lass ab von deiner Angst, mein Junge«, flüsterte sie.
Peter holte tief Luft, und sie zog ihn unter Wasser, hinab ins Dunkel und in die Kälte. Der Junge konnte gerade noch die verschwommenen Sonnenstrahlen ausmachen, die weit oben über die Wasseroberfläche tanzten. Seine Lungen zogen sich zusammen, und er spürte einen Anflug von Panik.
Ihre Arme umfingen ihn fest, und er musste an ihre scharfen Zähne denken. Wollte sie ihn ertränken?
Ihre Stimme trieb an seine Ohren, eine gedämpfte Melodie, die durch die Tiefen hallte. Um ihn herum wurde das Wasser wärmer. Er spürte ein regelmäßiges Pochen, wie einen Herzschlag, und hörte das Rauschen des Bluts in seinen Adern. Er fühlte sich, als wäre er in den Mutterleib zurückgekehrt. Sein Puls wurde langsamer und passte sich dem rhythmischen Pochen an – zwei Herzen, die wie eines schlugen. Seine Lungen verlangten nicht länger nach Luft. Er fühlte sich wie ein Teil von ihr, ein Teil des Teichs, und das Wasser war sein Herzblut. Ihre Stimme kitzelte ihn sanft im Ohr:
Ich bin dein Wald, deine Erde, deine Ewigkeit. Ich bin dein Leben. Ich bin dein Tod. Ich bin für immer alles und auf ewig. Liebe mich. Liebe mich. Liebe michauf ewig
. Er rollte sich zu einer Kugel zusammen und trieb wie ein Fötus im Mutterleib des Teiches.
Ja
, antwortete er.
Auf ewig
. Der Mutterleib um ihn herum fing an, immer heller zu schimmern. Kurz darauf durchstieß sein Kopf die Wasseroberfläche.
Peter spie einen Mundvoll Wasser aus und füllte mit einem tiefen Atemzug die Lungen. Er blinzelte ins Sonnenlicht. Wo war er? Dann sah er die Dame, und nichts anderes spielte mehr eine Rolle. Sie war das vollkommenste Geschöpf, das man sich vorstellen konnte, und er begriff nicht, wie er jemals etwas anderes hatte denken können. Das Herz ging ihm bei ihrem Anblick förmlich über, und er wollte nichts tun, außer sie auf ewig zu betrachten.
Die Dame musterte ihn. »Das Gift ist fort«, erklärte sie
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