Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
durch Rattenkot und Schlimmeres zu waten. An Spuren für den Pathologen gab der Fundort sowieso nicht viel her. Für seine Arbeit brauchte er angemessenere klinische Bedingungen.
»Weißt du, was ich glaube?« Divine senkte die Stimme und beugte sich zu Naylor herüber. »Wenn das nächste Mal so was reinkommt«, er schaute jetzt durch die Kantine zu Diptak Patel, der neben Lynn Kellogg anstand, »sollten wir den Goldjungen da losschicken. Bei dem ganzen Öl und Weihrauch und dem Zeug, das er essen muss, würde er wahrscheinlich überhaupt nichts merken.«
Gloria Summers’ Mutter zu finden, war beim ersten Mal nicht so schwierig gewesen, wie die Großmutter geunkt hatte. Susan lebte mit einer Freundin zusammen in einer Genossenschaftswohnung im zweiten Stock eines dieser umgebauten Häuser am oberen Rand des Forest. Diesmal, am späten Sonntagvormittag, war zwar die Freundin da, aber Susan hatte sich noch nicht wieder blicken lassen.
»Seit gestern Abend?«, fragte Resnick.
»Seit Gott weiß wann.«
»Haben Sie eine Ahnung, wo sie sein könnte?«
»O ja.« Resnick hatte den Eindruck, dass sie gelacht und ihn in den Witz eingeweiht hätte, wenn sie von der ganzen Sache nicht so offenkundig angeödet gewesen wäre. »Und nicht nur eine.«
»Männerbekanntschaften?«
»So kann man’s nennen.«
Resnick hatte sein Heft schon in der Hand. »Wo soll ich anfangen?«
»Zuerst sollten Sie sich vielleicht ein größeres Heft zulegen.«
Aber er hatte schon beim dritten Versuch Glück. Ein verschlafener Jamaikaner öffnete ihm und kratzte sich unter seinem kaftanähnlichen Hemd, während Resnick sich vorstellte und erklärte, dass er Susan Summers suche.
Der Jamaikaner bat ihn lächelnd herein.
Susan räkelte sich lässig in einem Berg von Kissen, wenig besorgt darum, wie weit das Laken ihren Körper bedeckte. Das Bett war eine Matratze auf dem Boden, rechts und links davon prangten in strategischer Position Pappbehälter mit Essensresten und Red-Stripe-Dosen. Ein Aschenbecher vom Durchmesser eines Esstellers war kurz vor dem Überquellen.
»Eine Tasse Tee?« Der Mann lächelte darüber, wie Resnick Susan anschaute und sich bemühte, nicht zu schauen.
»Danke, nein.«
»Wie Sie wollen.«
»Kennen Sie mich noch?«, fragte Resnick die junge Frau im Bett.
Als er das letzte Mal mit ihr gesprochen und sie gefragt hatte, ob sie eine Ahnung habe, wo ihre Tochter sich aufhalten könne, ob sie selbst vielleicht das Kind gesehen habe, hatte Susan Summers geantwortet: »Fragen Sie doch meine Mutter, die alte Kuh. Sie ist doch die Einzige, die gut genug ist, der Kleinen ihren kostbaren Arsch zu wischen.«
Als Resnick jetzt sagte, er wolle sie nicht erschrecken, aber sie hätten in der Nacht einen Leichnam gefunden, möglicherweise den ihrer kleinen Tochter, versetzte sie nur: »Wurde auch langsam Zeit, verdammt noch mal.«
7
Raymond hatte gleich in aller Frühe in der Firma angerufen und dem Vorarbeiter erklärt, er habe eine schwere Erkältung, werde sich gleich wieder ins Bett legen und, wie sein Vater ihm geraten habe, mit Aspirin, heißer Milch und Whisky behandeln, um alles herauszuschwitzen. Ja, klar, morgen werde er wieder da sein. Kein Problem. Denen in der Firma würde er bestimmt nicht auf die Nase binden, dass er zur Polizei musste, um eine Aussage zu machen. Du warst wo? Du hast was gefunden?
Raymond stand an diesem Morgen beinahe genauso lange vor seinem schäbigen kleinen Schrank und den halb aufgezogenen Kommodenschubladen, wie er sonst im Bad duschte. Er hatte keine Ahnung, wie man sich zu so einem Anlass kleidete. Am Ende entschied er sich für ein graues Hemd mit einem Stich ins Rosarote, der dem Waschsalon zu verdanken war, und die braune Jacke mit den zu langenÄrmeln, die sein Onkel ihm für das Vorstellungsgespräch bei der Großschlachterei geschenkt hatte.
»Ich kann doch einfach in die Schlachterei runtergehen«, hatte Raymond gesagt, ohne eine Miene zu verziehen, »zwei Pfund Schweineleber kaufen, sie über deinem alten Monteuranzug ausquetschen und den dann anziehen.«
»Ray-o«, hatte sein Onkel Terry gesagt, »das ist nicht zum Spaßen.«
Falsch. Dies hier war nicht zum Spaßen.
Er hatte nichts mit Sara ausgemacht, als sie in den frühen Morgenstunden in den Streifenwagen gestiegen war, der sie nach Hause bringen sollte, aber er hatte sich überlegt, dass er vor ihrem gemeinsamen Termin um elf vor dem Polizeirevier auf sie warten würde, um noch mit ihr zu reden, ehe sie hineinmussten.
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