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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Türschloss im Rücken hielt sie Emily fest bei der Hand.
    »Ich hab sie gesehen.«
    »Ja, am vorletzten Sonntag.«
    »Nein. Jetzt.« Emily wies zur Tür, aber Lorraine hob sie hoch und trug sie nach hinten ins Haus. »Unsinn, Schatz, das hast du dir nur eingebildet.«
    Hätten nicht Zigarettenrauch und Nikotin aus über einem Jahrzehnt den Putz zusammengehalten, dann wäre er bei dem Lärm von den Wänden gebröckelt. Die Anwohner hatten es längst aufgegeben, sich zu beschweren; sie drehten stattdessen ihre Fernseher und Stereoanlagen auf und richteten sich bei ihren abendlichen Aktivitäten nach der Livemusik des Pubs. Heute war Bluesabend: Man nehme drei Grundakkorde und ein paar kleine Ausschmückungen und lasse sie in einer Lautstärke durch die Verstärker rauschen, die aller Kritik trotzt.
    Naylor schaffte es durch das Gedränge zurück, ohne mehr als ein paar Zentimeter aus jedem Pintglas zu verschütten.
    »Was ist denn das?«, brüllte Divine durch das Getöse. »Hast du Halbe bestellt?«
    Wenn Naylor die Worte überhaupt verstanden hatte, so verkniff er sich einen Kommentar. Er quetschte sich wieder neben Divine auf die Bank, die sie mit einem breitgesichtigen Rastafari und einem mageren jungen Kerl teilten. Der Junge, der neben einer Sammlung politischer Abzeichen einen dünnen Bart und eine marineblaue Schirmmütze trug, sah aus wie ein Student.
    »Was zum Teufel tun wir hier?«, fragte Naylor.
    »Die Augen offen halten, hast du das vergessen?«
    Einen Monat zuvor hatten die Kollegen vom Drogendezernat zwei gepolsterte Kuverts abgefangen, die zu einem bekannten Dealer mit Wohnung über einer Videothek in einer Seitenstraße der Alfreton Road unterwegs waren.Eines war allem Anschein nach in Kanada aufgegeben worden, das andere in Japan; tatsächlich aber kamen sie beide, wie sich herausstellte, aus Pakistan. Man bestach ein paar Beamte, schleuste die Sendungen in den Postverkehr ein, als wären sie in Ländern abgeschickt worden, die bei Zoll und Finanzamt keinen Verdacht erregten, und fertig war das internationale Drogenversandhaus für alle. Während Interpol und die Drogenfahndung die großen Fische fingen, tranken Naylor und Divine dubioses Bitter und hielten die Augen offen nach den kleinen.
    Aber es sah nicht so aus, als würde dies ihr großer Abend werden.
    »Wenn dieses fette Schwein«, schrie Divine Naylor ins Ohr und wies auf den Weißen mittleren Alters am Klavier, »noch einmal sagt, dass er so gern in Chicago wäre, bring ich ihn persönlich zum Bahnhof und setz ihn in den beschissenen Zug.«
    Eine halbe Stunde, bevor der Laden zumachte, brachen sie mit dröhnenden Ohren auf.
    »Hast du noch Lust auf irgendwas?«, fragte Divine, den Blick auf die gegenüberliegende Kebab-Bude gerichtet.
    Naylor schüttelte den Kopf. »Ich muss heim.«
    »Debbie ist wohl noch auf?«
    Naylor zuckte mit den Schultern.
    »Oder erwartet sie dich im Bett?« Divine grinste.
    Naylors Wagen stand noch bei der Dienststelle; er wusste, er sollte ihn dort stehen lassen und heute Abend nicht mehr fahren, besser ein Taxi nehmen. Ach was, zum Teufel. Hinter den Fenstern im ersten Stock des Reviers brannte Licht, und einen Moment spielte Naylor mit dem Gedanken, wieder hinaufzugehen, ein bisschen zu quatschen und sich einen Kaffee zu machen. Doch stattdessen manövrierte er den Wagen rückwärts auf die Straße und fuhr nach Hause.
    Nur das kleine Licht über der Haustür brannte.
    Im Kühlschrank stand ein geöffneter Karton Milch, und Naylor trank ihn beinahe in einem Zug aus. Er dachte daran, noch einen zu öffnen und sich ein Müsli zu machen. In einer mit einem kleinen Teller zugedeckten Schale war noch Thunfisch. Er nahm sie mit ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und drehte den Ton leise. Eine Runde wütender Showgäste, die sich, vom Moderator angestachelt, gegenseitig anknurrten. Asiatische Männer und Frauen in schwarz-weißen Trachten, Untertitel und endloses Gerede. ›Fußball Spezial‹. Er schaltete auf einen leeren Kanal und aß seinen Thunfisch fertig, während er auf die huschenden Sprenkel auf dem Bildschirm starrte und dem Summen lauschte.
    Ihrer Frau geht’s gut? Dem Baby auch?
    Ja, soweit er wusste, ging es ihnen gut.

13
    Raymond lag in seinem Zwölfquadratmeterzimmer auf dem Bett, das feucht war von seinem Samen und seinem kalten Schweiß, und versuchte, nicht an das kleine Mädchen zu denken; das Kind mit den hellen Haaren und den drallen kleinen Händen, die ganz wild darauf schienen,

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