Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
gesungen zu haben.
Sie hatten ihn einmal für eine Woche auf der Insel besucht. Die meiste Zeit wurde Geoffrey zu dieser oder jener geschäftlichen Besprechung nach England zurückgerufen und ließ Lorraine und Michael in Gesellschaft seiner Frau Claire und der Robben zurück, die sich von den Felsen in die kühle See platschen ließen. Da Claires Tagesablauf darin zu bestehen schien, zum Mittagessen aufzustehen und sich dann in ›Heim und Garten‹ oder die neue Jilly Cooper zu vertiefen, erwiesen sich die Robben als die bessere Gesellschaft.
Von diesem Besuch abgesehen war Geoffrey von Zeit zu Zeit bei ihnen aufgekreuzt, meistens unangemeldet, und gerade lange genug geblieben, um eine Tasse Tee zu trinken, einige Anrufe zu erledigen und Michael vorzuwerfen, dass es ihm an Ehrgeiz fehle.
»Lorraine«, sagte Geoffrey jetzt, »wie sieht’s aus, kannst du uns ein schönes Frühstück machen? In Zeiten wie diesen braucht der Mensch Kohlehydrate.«
Er legte ihr leicht die Hand auf den Rücken und schob sie in die Küche. »Und du …«, sagte er mit einem schrägen Blick zu Michael, »was zum Teufel hast du mit deinem Bein angestellt?«
27
Jack Skelton wirkte schon am Morgen ausgepowert, er hatte wieder einmal unter dem neuesten Frühstückssport seiner Tochter zu leiden gehabt. Die Spielregeln waren überschaubar und simpel. Man kam morgens lächelnd in die Küche, streifte Dads Wange auf dem Weg zu den Rice Pops mit einem kurzen Kuss und schlug dann die Zeitung beim Lokalteil auf, die Seiten zwei und drei. »Ach, toll, Dad, du machst wieder mal sämtliche Schlagzeilen. ›Schwarzer von rassistischen Polizisten geschunden und geprügelt. Einem Schwarzen wurden vierzigtausend Pfund Schmerzensgeld zugesprochen, nachdem Polizisten ihn in rassistischer Raserei verprügelt und dann falsche Anschuldigungen gegen ihn vorgebracht hatten. Eine elektrostatische Oberflächenprüfung der Verhörunterlagen bewies, dass Beamte ihre Gesprächsnotizen fälschten, um eine Verurteilung zu erreichen. Es wurde der Vorwurf des Meineids erhoben, nachdem ein bei einer Demonstration aufgenommenes Polizeivideo zeigte, dass die Aussagen über die Verhaftung kaum etwas mit den tatsächlichen Ereignissen zu tun hatten.‹« Dies alles im freundlich munteren Tonfall von Radio One vorgetragen. »Du bist echt zu beneiden um so viel berufliche Erfüllung, Dad. So viel Hochachtung und Bewunderung für deine Arbeit zum Wohl der Gesellschaft.«
Skelton wusste, was geschehen würde, wenn er widersprach oder gar zu erklären versuchte. Statt des Lächelns würde er das Gesicht zu sehen bekommen, das er von ihrenKämpfen im letzten Jahr kannte. Nur würde der Kampf diesmal anders ausgehen, denn Kate war älter geworden. Wie viel es brauchte, um sie aus dem relativen Komfort ihres Zuhauses in irgendeine bizarre Wohngemeinschaft mit ihrem Freund zu treiben, wusste er nicht, aber viel war es sicher nicht. Ihm war klar, dass er auf die Probe gestellt wurde und auf keinen Fall das Gesicht verlieren durfte. Es war eigentlich etwas Ähnliches – auf weit kleinerer und persönlicherer Basis natürlich – wie die Schmähungen, die seine Leute sich beim Bergarbeiterstreik 1984 von den Streikposten gefallen lassen mussten. Deren Nachwirkungen – brutale Vergeltung, völlige Unbeherrschtheit – waren heute immer noch zu spüren, wie Kate ihm gerne vorhielt.
Aber Skelton dachte nicht daran, sich zu Unbeherrschtheiten hinreißen zu lassen.
Aufrecht saß er an seinem Schreibtisch neben dem Fenster, an dem der Regen herablief. Ihm gegenüber hing Resnick mit übereinandergeschlagenen Beinen zusammengesunken in seinem Sessel, müde offensichtlich. An seiner Wange, wo er sich beim Rasieren geschnitten hatte, hing ein Fetzchen Klopapier.
Skelton rückte mit pedantischer Genauigkeit die Papiere auf seinem Schreibtisch gerade. »Diese Frau in Yorkshire, die Buchhändlerin …«
»Jacqueline Verdon.«
»… könnte es nicht sein, dass sie Patel auf den Leim führt? Dass sie Mutter und Tochter bei sich versteckt hält?«
»Im Geheimfach hinter dem Bücherregal?«
»So ähnlich.«
»Bisschen arg Sherlock Holmes, finden Sie nicht?«
»Aber möglich.«
Resnick streckte seine Beine aus, und wie auf Kommando knurrte sein Magen. »Patel meint, sie sei aufrichtig besorgt und beunruhigt gewesen. Kann natürlich sein, dass sieschauspielert, aber ich vertraue eigentlich dem Urteil des Jungen. Trotzdem haben wir mit den Kollegen am Ort gesprochen und sie gebeten, ein
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