Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
Vom Netzwerk:
uns nie verzeihen, wenn wir es schmuddelig ins Kinderbettchen legen.«
    Kinderbettchen?, dachte Geoffrey. Was hatte der große Hund in einem Kinderbettchen zu suchen? Er schlief nicht mehr in einem Kinderbett; er schlief jetzt in einem richtigen Bett mit allen seinen Lieblingstieren. Und da würde der neue Hund auch schlafen.
    »Du hast recht«, sagte sein Vater und nahm den Bären bei einer Pfote. Geoffrey hielt zähneknirschend die Beine fest. »Komm schon, Geoff. Wir wollen ihm doch nicht wehtun. Wo ihn das neue Baby noch nicht einmal gesehen hat.«
    Aber Geoffrey ließ den Bären nicht los. Welches neue Baby? Es gab kein neues Baby.
    »Siehst du, Schatz«, sagte sein Vater, »wir hätten es ihm früher sagen sollen.«
    Seine Mutter drehte sich stöhnend zurück, um ihren Sohn anzusehen. »Was glaubt er denn, warum ich hier wie eine Tonne durch die Gegend rolle?«
    Geoffreys Vater lachte und kniete neben seiner Frau nieder, um den dicken Bauch unter dem weiten grauen Kleid zu streicheln. »Komm mal her, Geoffrey. Komm,Schätzchen, fühl mal Mamis Bauch. Fühl mal, wo das Baby wohnt.«
    Geoffrey biss die Zähne zusammen und ging zu seiner Mutter. Er glaubte es nicht. Er glaubte nicht, dass in ihrem Bauch ein neues Baby wohnte. Wie denn? Wie ein großer weißer Kuschelbär in einem Plastikbeutel ganz hinten im Schrank? Nein, das war etwas anderes. Der Bär war nicht echt. Babys schon. Geoffrey schwang den Bären in die Höhe, holte aus und schlug ihn so fest er konnte auf den dicken Bauch seiner Mutter.
    So wurde Geoffrey Morrison entthront, mit drei Jahren aus dem Zentrum elterlicher Anteilnahme und Vergötterung hinausgeboxt.
    »Wer hat seinen kleinen Bruder lieb, hm?«
    Ich bestimmt nicht, hätte Geoffrey damals gesagt.
    Aber die Zeit heilt ja bekanntermaßen alle Wunden und glättet alle Wogen; und so lehrte sie Geoffrey, dass kleine Brüder, genau wie große weiße Hunde von Freunden der Familie, ihre Vorteile haben. Und Spaß bringen können.
    »Geoff ist rührend mit dem Kleinen«, sagte sein Vater stets. »Wirklich, einfach rührend.«
    Und abgesehen von dem Vorfall im Plastikschwimmbecken ihrer Nachbarn ging Geoffrey mit seinem kleinen Bruder auch wirklich sehr achtsam und liebevoll um. Eine Folge davon war, dass der kleine Michael seinen Bruder abgöttisch liebte und immer, wenn Geoffrey ihm entzogen wurde, wie ein Waisenkind trauerte.
    »Michael Morrison«, sagte Geoffrey Jahre später, als er von Manx Radio interviewt wurde, »liebe ich wie einen Bruder.« Und als sein herzhaftes Gelächter über seinen eigenen Scherz abgeklungen war, setzte er in vollem Ernst hinzu: »Meinem Bruder Michael habe ich zu verdanken, was ich heute bin.«
    Nämlich ein beinahe millionenschwerer Geschäftsmann, der ein Fünftel des Markts für perforierte Abreißtüten aus Kunststoff in der Tasche hatte, und das im Alter von damals neunundzwanzig Jahren. »Aber ich war immer schon ein Mensch«, erklärte er dem Moderator der Frühstückssendung lachend, »der große Taschen brauchte.«
    Der Moderator quetschte sich ein Lächeln ab und ließ etwas von den Carpenters abspielen. Wieso hatten immer die dümmsten Bauern die größten Kartoffeln? Und warum landeten diese Burschen immer in seiner Show?
    »Was ich vorher sagen wollte«, erklärte Geoffrey ins Mikrofon, als Karen Carpenter die letzten Seufzer in den Äther hauchte, »ist Folgendes: Bis zu dem Tag, an dem mein Bruder geboren wurde, glaubte ich, das Leben sei es mir schuldig, mich zu verwöhnen. Ich war ein Einzelkind, ich wurde von meinen Eltern vergöttert, jeder Wunsch wurde mir von den Augen abgelesen. Dann macht’s plötzlich bumm, und ein neues Modell ist da, ich rutsche hinten ins Regal und werde nur noch als Restposten gehandelt. Da habe ich mit meinen gerade mal drei Jahren begriffen – ich schwöre, so war’s –, dass das Leben mir überhaupt nichts schuldig ist und ich selber die Ärmel aufkrempeln und mir holen muss, was ich vom Leben will. Und glauben Sie mir, ich habe es nie bereut.«
    Es stimmte.
    Nicht einmal, als er sich 1987 finanziell weit übernahm und Konkurs anmelden musste. Noch ehe die Tinte auf der Insolvenzanmeldung trocken war, ließ Geoffrey eine neue Firma eintragen, diesmal unter dem Namen seiner Frau. Und schon einen Monat später unterzeichnete er einen Exklusivvertrag mit einer nordenglischen Supermarktkette, die er ab sofort mit Plastikbeuteln für ihre neuen Obst-und-Gemüse-Selbstbedienungsabteilungen beliefern sollte. Geoffrey

Weitere Kostenlose Bücher