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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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freute sich und kaufte einen neuen Rover,schickte seine Frau für vierzehn Tage zur Erholung nach Ragdale Hall und verwöhnte sich selbst mit einer Vitaminspritzenkur und den diskreten Diensten einer asiatischen Masseuse.
    Im folgenden Jahr spielte er eine Bank gegen die andere aus, wechselte seinen Buchhalter ungefähr genauso oft wie andere Männer ihre Boxershorts und fälschte eine Arbeitsablaufstudie in seinem Hauptwerk, um seinen Angestellten, großenteils Immigranten, Lohn- und Gehaltskürzungen schmackhaft zu machen. Als er wieder obenauf war und Gefahr lief, wegen seiner außergewöhnlichen Zahlungskräftigkeit aufzufallen, übersiedelte Geoffrey mit Sack und Pack auf die vierzig Meilen vor dem Festland gelegene Isle of Man. Hier konnte er sich in einer Traumvilla auf dem Bradda Head an der sauberen Luft, an einem unverbaubaren Meeresblick bis nach Irland und bedeutend niedrigeren Steuersätzen erfreuen. Ein Privatflugzeug, das er sich mit einer ausgewählten Gruppe Gleichgesinnter teilte, trug ihn, wann immer ihm der Sinn danach stand, innerhalb einer Stunde dahin zurück, wo etwas mehr Action war.
    Mit vierzig konnte Geoffrey Morrison sich eines fünfzigprozentigen Anteils an mehreren Rennpferden rühmen, einer mittlerweile recht passablen Schlagzahl beim Golf, eines unbegrenzten Kredits bei einer Spielbank in Douglas und mehrerer Fotografien, die ihn beim herzlichen Händedruck mit diversen Stars zeigten – Frankie Vaughan, Clinton Ford, Bernie Winters. Er trug Maßanzüge und stellte voller Stolz knallfarbene Hosenträger, breite seidene Krawatten und einen relativ flachen Bauch zur Schau. Dreimal pro Woche eine halbe Stunde im Pool, mehrere Bahnen, und dazu die Arbeit auf dem Heimtrainer, während er Memos diktierte.
    Als Geoffrey am Morgen nach Michaels Heimkehr aus dem Krankenhaus bei seinem Bruder aufkreuzte, truger einen hellgrauen Anzug mit einem dunkelroten Streifen, mitternachtsblaue Hosenträger und eine Krawatte in überwiegend Gelb und Orange. Weiter oben am Straßenbogen lieferte der Milchmann aus, und die Scheinwerfer des Mietwagens, der Geoffrey am Flughafen erwartet hatte, waren noch eingeschaltet. Sogar die Medienvertreter ließen auf sich warten.
    »Lorraine, Schätzchen. Du Arme, dass so etwas passieren musste! Gibt es schon etwas Neues, oder ist das zu viel der Hoffnung? Und Michael. Wo ist Michael? Mein Gott! Was hast du denn angestellt. Du humpelst ja.«
    Völlig unbeeindruckt von dessen Verlegenheit, nahm Geoffrey seinen Bruder in die Arme und drückte ihn fest an sich, während Lorraine mit rot geweinten Augen zusah.
    »Ich verstehe nicht …«, begann Michael.
    »Nein, natürlich nicht. Wie solltest du auch? So eine Geschichte, das eigene Kind, das kann man nicht verstehen. Niemand kann das. Lorraine, Schätzchen, nimm es mir nicht übel, aber du siehst schrecklich aus.«
    »Das meinte ich nicht«, erklärte Michael. »Ich habe dich gemeint. Was tust du hier?«
    Geoffrey riss erstaunt die Augen auf. »Ich kann damit leben, dass keiner von euch beiden es für nötig gehalten hat, mich anzurufen. Das lässt sich bei etwas gutem Willen mit dem Schock erklären. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich nicht bekümmert bin. Ich bin gekommen, so schnell ich konnte.«
    »Geoffrey, es tut mir leid, dass ich dich nicht angerufen habe«, sagte Michael. »Ich habe einfach nicht daran gedacht. Ich kann ja kaum einen klaren Gedanken fassen. Aber wirklich, du kannst hier nichts tun.«
    »Darum geht’s doch gar nicht.« Er ergriff Lorraines Hand und drückte sie. »Ich wollte einfach bei euch sein, euch meine Anteilnahme ausdrücken, euch zeigen, dassich mit euch fühle. Dass wir beide, Claire und ich, mit euch fühlen.«
    Lorraine hatte Michaels Bruder vor der Hochzeit nur zweimal gesehen, danach vielleicht vier- oder fünfmal. Zur Hochzeit hatte Geoffrey eine ganze Wagenladung Geschenke von Harrods auffahren lassen, kam selbst im weißen Anzug und amüsierte sich königlich. Er sorgte dafür, dass der Champagner in Strömen floss, tanzte mit jedem, der töricht genug war, sich darauf einzulassen, und versuchte vergeblich, Michael zu überreden, mit ihm zusammen auf die kleine Bühne zu treten und »All You Have to Do is Dream« darzubieten, die Morrison-Brüder in schönstem Einklang, mit Geoffrey als Leadsänger. »Komm schon, Michael. Das haben wir doch zu Hause immer gesungen, weißt du nicht mehr?« Michael schwor Lorraine später, dass er sich nicht erinnerte, es auch nur ein Mal

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