Der Kinderpapst
Saal.
12
Teofilo schloss die Tür hinter sich. Er war mit so viel
Hoffnung nach Grottaferrata gekommen. Beinahe hatte er an das Wunder geglaubt,
an ein Leben mit Chiara. Doch die Hoffnung hatte nur den Zweck gehabt, die
Verzweiflung zu mehren, die jetzt auf die Enttäuschung folgte. Seine Arme und
Beine waren schwer wie Blei, ein Mühlstein hing um seinen Hals, und seine Brust
umschloss ein unsichtbarer Panzer, den er nie wieder ablegen würde.
Wie hatte er so vermessen sein können, an ein neues Leben zu
glauben?
DrauÃen auf dem Gang wartete Abt Bartolomeo.
»Nun, was hat sie gesagt?«
Teofilo schüttelte den Kopf. »Ich hätte es wissen müssen. Sie hasst
mich.« Er reichte dem Mönch die Hand. »Ihr habt getan, was Ihr konntet, und
dafür danke ich Euch. Aber es war aussichtslos, von Anfang an.«
»Soll ich vielleicht noch einmal mit ihr reden?«
Ohne Antwort wandte Teofilo sich in Richtung Ausgang.
»Wartet, ich begleite Euch hinaus.«
Schweigend legten sie den kurzen Weg zur Pforte zurück. Der
warzengesichtige Kustos trat aus seinem Häuschen, kniete vor Teofilo nieder,
als wäre er wirklich und wahrhaftig der Papst, um dann wieder mit beflissener
Miene seines Amtes zu walten.
»Was werdet Ihr jetzt tun?«, fragte Abt Bartolomeo, während sich vor
ihnen das Tor zur StraÃe öffnete, wo bereits ein Stallknecht mit Teofilos Pferd
wartete.
»Alles, was notwendig ist, um den Frieden in der Stadt wieder
herzustellen. Das ist die einzige Möglichkeit, um selber meinen Frieden zu
finden.«
Abt Bartolomeo hob überrascht die Brauen. »Dann wollt Ihr also nicht
um die Cathedra kämpfen? Trotz Chiaras Entscheidung?«
»Nein«, erwiderte Teofilo. »Ich werde von meinem Amt zurücktreten.
Der Thron hat mir nur Unglück gebracht. So wie meine Berufung ein Unglück für
ganz Rom war.«
»Das habt Ihr erkannt?«
»Nicht ich«, erwiderte Teofilo. »Chiara. Was Gott mir verschwiegen
hat und was mein Gewissen sich weigerte zu erkennen â ihr Gesicht hat es mir
gezeigt. Diese Verachtung in ihren Augen, diese Angst, dieses Entsetzen ⦠Durch
sie habe ich begriffen, was ich nicht begreifen wollte.«
Abt Bartolomeo nickte. »Dann war vielleicht doch nicht alles
umsonst.«
»Glaubt Ihr?«
»Der heilige Augustinus sagt: Nur der kann den Weg zum Heil
beschreiten, der die Sünde kennt und sie überwindet. Ich bin sicher, er hat
dabei an Menschen wie Euch gedacht. Oder wie mich.«
Teofilo wollte schon durch das Tor treten, doch bei der letzten
Bemerkung stutzte er.
»Ja, Ihr habt richtig gehört«, sagte Bartolomeo. »Ich glaube, ich
kann ermessen, was in Euch vorgeht. Auch ich bin nicht vor Anfechtungen gefeit,
wie Ihr sie erlitten habt. Der Herr hat auch mich auf die Probe gestellt und
tut es immer wieder, Tag für Tag.«
Teofilo schaute in das runde, wohlgenährte Gesicht des Mönchs. Es
gab Gerüchte, wie sie aus jedem Kloster nach auÃen drangen, Gerüchte von
heimlichen Lastern, von Liebe wider die Natur zwischen Männern, die
abgeschieden von der Welt ihr Leben Gott zu weihen versuchten, ohne die
Tröstungen einer Frau.
War es das, was Abt Bartolomeo meinte?
»Bitte sorgt dafür«, sagte Teofilo, »dass mit den Geldern, die
Chiara di Sasso zustehen, ihr Werk fortgesetzt wird, auch wenn sie den Schleier
nimmt.«
»Es wird mir eine Freude sein.«
»Ihr findet die Urkunde im Refektorium. Die Vorstellung, dass die
Gelder darauf verwendet werden, ein wenig die Not zu lindern, die meine
Regierung über Rom gebracht hat, würde mir ein Trost sein.«
»Ihr könnt Euch auf mich verlassen.« Abt Bartolomeo hielt den
Steigbügel, damit Teofilo aufsitzen konnte. »Kehrt Ihr zurück in die Stadt?
Oder wollt Ihr künftig in den Bergen leben?«
»Ich weià es noch nicht, vielleicht werde ich Rom für eine Weile
verlassen.«
»Um auf Pilgerfahrt zu gehen?«
»Ich werde mich meinem Beichtvater anvertrauen. Und mich seinen
Anordnungen fügen.«
Die beiden Männer tauschten den Bruderkuss, als Teofilo plötzlich
eilige Schritte hörte.
Im selben Moment sah er, wie sich Abt Bartolomeos Miene aufhellte.
»Teofilo!«
War das wirklich die Stimme, die er zu erkennen glaubte? Voller
Angst, einem Trug zu erliegen, drehte er sich um.
»Chiara?«
Nein, seine Sinne hatten ihn nicht getäuscht â im
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