Der Kinderpapst
gelingen, wieder Ruhe und Ordnung in Rom herzustellen, zum
Wohle der Kirche und des Gottesstaates. Der Handel musste gelingen â musste, musste, musste!
Plötzlich hatte Petrus da Silva eine Idee.
»Und wenn der neue Papst bereit wäre, Euch den Peterspfennig
sämtlicher Bistümer eines Landes abzutreten?«, schlug er vor.
Benedikt horchte auf. »An welches Land denkt Ihr?«
Petrus überschlug im Kopf die Einkünfte, die jedes Jahr aus den
verschiedenen Ländern der Kurie zuflossen. Die germanischen oder spanischen
Bistümer waren zu reich, als dass die Kirche auf deren Abgaben verzichten
konnte. Die Einkünfte aus Dänemark oder Schweden hingegen waren zu unbedeutend,
um Benedikt für den Handel zu gewinnen, genauso wie die aus Ungarn.
»Wie wäre es mit England?«, fragte er schlieÃlich.
11
Mit klopfendem Herzen folgte Chiara Abt Bartolomeo den Säulengang
entlang, der zum Refektorium des Klosters führte. In wenigen Augenblicken würde
sie Teofilo gegenüberstehen â zum ersten Mal seit Jahren. Das war die
Bedingung, die Abt Bartolomeo gestellt hatte: Um den Schleier nehmen zu dürfen,
hatte er von ihr verlangt, dass sie ihren Entschluss, ins Kloster zu gehen,
Teofilo selber mitteilen musste, von Angesicht zu Angesicht.
Drei Tage hatte sie mit sich gerungen, ob sie imstande sein würde,
die Bedingung zu erfüllen. Würde sie die Kraft haben, ihm ihren Entschluss
mitzuteilen? Damit ihre Wege sich für immer trennten?
Jetzt hatte sie vor dem Wiedersehen solche Angst, dass ihr übel war,
und wie ein kleines Mädchen wünschte sie sich, der Weg durch das Labyrinth des
Klosters würde nirgendwohin führen, und sie könne immer so weitergehen, an der
Seite und im Schutz ihres Beichtvaters, ohne je an ein Ziel zu gelangen.
Doch ihr kindlicher Wunsch erfüllte sich nicht. Schon nach ein paar
Schritten blieb Abt Bartolomeo vor einer Tür stehen. Den Riegel in der Hand,
sagte er: »Bevor Ihr selber sprecht und es keine Rückkehr mehr gibt, hört
Benedikt an. Er hat Euch etwas Wichtiges mitzuteilen. Etwas, das zu seinen
Gunsten spricht. Gebt ihm die Gelegenheit.«
Noch während er sprach, öffnete er die Tür, und plötzlich war sie
allein in dem groÃen, leeren, hellen Raum, in dem sonst die Mönche speisten.
Wo war Teofilo?
Im Gegenlicht der Sonne sah sie zuerst nur sein Gewand, eine
schlichte Kutte, wie die Mönche von Grottaferrata sie trugen. Als ein stummer,
schwarzer Schatten trat er auf sie zu. Sie wollte ihm ins Gesicht sehen, um ihm
zu sagen, was sie ihm zu sagen hatte. Doch sie hatte nicht den Mut.
Vor ihr stand der Mann, nach dem ihr Herz sich sehnte, seit sie
zurückdenken konnte, doch gegen den sich alles in ihr sträubte. Der Mann, den
sie liebte und hasste wie keinen zweiten Menschen auf der Welt.
»Ich bin so froh, dass Ihr gekommen seid«, sagte er in die Stille
hinein.
Seine Stimme berührte sie wie eine verbotene Liebkosung. In ihrer Verwirrung
nahm sie Zuflucht zum vorgeschriebenen Ritual.
»Heiliger Vater«, sagte sie und sank auf die Knie.
»Bitte nicht«, sagte er und half ihr auf. »Ich ⦠ich bin nicht mehr
der Papst.«
Als sie den Kopf hob und sein Gesicht sah, erschrak sie. Wie sehr
hatte er sich verändert, kaum erkannte sie Teofilo wieder. Das war kein
Gesicht, das war das Bild einer verwüsteten Seele. Ja, er hatte immer noch
dieselben groÃen grünen Augen, denselben vollen Mund, dieselbe olivfarbene
Haut. Aber seine Augen, die früher voller Begeisterung strahlen konnten, waren
erloschen und tot, um seinen Mund, der, wenn sie sich geküsst hatten, so
zärtlich und innig mit ihren Lippen verschmolzen war, spielte ein harter, böser
Zug, und seine Haut, die sie so gerne berührt und gestreichelt hatte, war
überschattet von einem schwarzen Bart, der ihn um Jahre älter machte, als er in
Wirklichkeit war. Vor allem aber erschrak sie über die scharfe, tiefe
Zornesfalte, die von der Nasenwurzel senkrecht zwischen seinen Augen in die
Stirn aufstieg.
Waren das die Spuren des Bösen, das dieser Mann so vielen Menschen
angetan hatte?
Er streckte die Hand nach ihr aus. Doch sie konnte diese Hand nicht
berühren, schon die Vorstellung machte ihr Angst.
»Abt Bartolomeo hat mir aufgetragen, Euch anzuhören«, sagte sie.
»Also sagt, was Ihr zu sagen habt.«
»Wie Ihr wünscht.« Er griff in den Ãrmel seiner
Weitere Kostenlose Bücher