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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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immer unter dem falschen Ornat eines Amtes verschwunden,
das ihm nicht zustand, und an Giovanni Graziano erinnerte nur noch das lange
graue Haar, das unter der Krone herabhing, sowie das schwarze Augenpaar in dem
hageren, blassen Gesicht.
    Â»Ich verkünde euch große Freude«, rief Petrus da Silva der Menge zu.
»Wir haben einen Papst, Seine Eminenz den hochwürdigsten Herrn Giovanni
Graziano, der Heiligen Römischen Kirche frömmster Diener, welcher sich den
Namen Gregor VI . gegeben hat.«
    Ermilina hörte es und konnte es doch nicht begreifen. Erkannte denn
niemand, was hier geschah? Vertreter aller Adelsfamilien sanken vor dem neuen
Papst nieder, um ihm ewige Treue zu schwören und zu geloben, zeit seines Lebens
keinen anderen Mann auf die Cathedra zu heben.
    Dann trat Gregor zum ersten Mal vor sein Volk und breitete die Arme
aus.
    Â»Es segne euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der
Heilige Geist.«
    Â»Amen!«, scholl es ihm aus tausend Kehlen entgegen.
    Ermilina rang um Atem. Alle hatten ihren Sohn verraten, alle hatten
Gott verraten … Ihr Herz raste, als wolle es ihr aus dem Leib springen, und ihr
Brustkorb krampfte sich zusammen, als würde die Faust eines Riesen sie
umspannen.
    Nein, sie ertrug es nicht länger! Keinen einzigen Augenblick!
    Mit beiden Händen raffte sie ihre Röcke, um aus dem Gotteshaus zu
stürzen.
    14
    Teofilo küsste die große, knöcherige Hand des Mannes, der ihm
auf den Thron gefolgt war und ihn nun in jenem Raum empfing, in dem er bis vor
kurzer Zeit noch selbst zur Audienz empfangen hatte.
    Â»Warum bist du zu mir gekommen, mein Sohn?«, fragte Giovanni
Graziano.
    Â»Ich habe gesündigt, Heiliger Vater, und möchte die Beichte ablegen.«
    Â»Wann war deine letzte Beichte?«
    Â»Ich weiß es nicht mehr. Es ist schon viele Jahre her.«
    Â»Das heißt – du hattest deinen Glauben verloren?«
    Â»Ich hatte alles verloren. Meinen Glauben und meine Seele.«
    Â»Und wer hat dich auf den Weg zu Gott zurückgeführt?«
    Â»Die Liebe, Heiliger Vater. Die Liebe zu meiner Braut.«
    Draußen vor den Fenstern dunkelte bereits die Nacht. Noch am Abend
desselben Tages, an dem Teofilo sein Amt abgelegt hatte, hatte er seinen
Taufpaten aufgesucht, um sich von der Last seiner Sünden zu befreien. Die
Beichte sollte der erste Schritt in sein neues Leben sein. So wie er seine
Kleider reinigen würde, bevor er Chiara vor den Traualtar führte, wollte er
seine Seele reinigen, bevor er ihr als Bräutigam gegenübertrat.
    Ein Diakon kam herein, um Lichter in dem dunklen Raum anzuzünden.
Giovanni Graziano wartete, bis der Mann den Saal verlassen hatte.
    Â»Sprich, mein Sohn. Und bekenne deine Sünden.«
    Als Teofilo in das Gesicht seines Taufpaten sah, erfasste ihn ein
Gefühl, wie es einen Reisenden erfassen musste, der sich am Fuße eines riesigen
Gebirges befand, ohne zu wissen, wie er den Aufstieg bewerkstelligen konnte. Er
hatte sein Gewissen erforscht, wieder und wieder, in lang durchwachten Nächten
alle Sünden aufgeschrieben, deren er sich erinnern konnte. Gebot für Gebot
hatte er sich geprüft, Seite um Seite gefüllt mit seinen Verfehlungen, weil es
kein Gebot gab, gegen das er nicht verstoßen hatte. Doch als er nun das
Pergament hervorholte, auf dem sein Schuldbekenntnis verzeichnet war,
schüttelte sein Beichtvater den Kopf.
    Â»Nicht nach der Schrift sollt du bekennen, sondern aus deinem
Herzen.«
    Giovanni Graziano nickte ihm zu, und obwohl Teofilo wusste, dass
sein Pate unfähig war, die Farben und Formen der Welt zu unterscheiden, fühlte
er sich unter dem Blick dieser blinden, schwarzen Augen nackt und bloß wie ein
neugeborenes Kind. Auf einmal brach alles aus ihm hervor, der böse, dunkle
Strom seiner Sünden … Seine Anfälle von Jähzorn … Seine Versuche mit dem Blut
Christi … Seine Raffsucht und Gier … Seine Gelage in der Laterna Rossa … Sein
Befehl zum Krieg … Seine Auflehnung gegen Gott und die Leugnung des Schöpfers …
Die Schändung des heiligen Kreuzes … Die Geldfälscherei … Die Ermordung des
Sabiners Ugolino … All die zahllosen Anordnungen und Befehle, mit denen er
Tausende und Abertausende von Menschen ins Unglück gestürzt hatte …
    Die Kerzen in den Leuchtern an der Wand waren bis auf die Stümpfe
herabgebrannt, als Teofilo endlich ans Ende seiner

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