Der Kinderpapst
Beichte gelangt war.
»Dies sind meine Sünden«, sagte er mit erstickter Stimme. »Ich
bereue sie von Herzen.«
Teofilo senkte den Blick. Konnte sein Beichtvater ihn von seiner
Schuld befreien?
Eine lange Weile blieb Giovanni Graziano stumm, und Teofilo hörte
nur den schweren Atem seines Paten, als leide dieser unter der Last seiner
Sünden ebenso sehr wie er selbst.
Mit einem Seufzer durchbrach Giovanni Graziano die Stille.
»Statt Gottes Wort zu folgen, hast du Gott herausgefordert. In
Gedanken, Worten und Werken.«
»Ich habe nach ihm geschrien. Ich wollte, dass er sich mir zu
erkennen gab, und sei es, indem er mich strafte. Aber stattdessen verharrte er
im Schweigen. Wie in einer dunklen Höhle.«
»Dunkel war nicht Gottes Schweigen, dunkel war der Irrgarten deiner
Seele, weil du Gottes Licht nicht hineingelassen hast. Doch sag, was hat dich
in diese Finsternis getrieben?«
Teofilo stöhnte leise auf. Wie sollte er die Kämpfe seines Herzens
in Worte fassen?
»Manchmal war mir«, sagte er, ohne den Blick zu heben, »als hause
ein fremdes Wesen in mir, ein Dämon, der von mir Besitz ergriff. Und dieser
Dämon wollte nur eins: mehr, immer mehr und mehr und mehr, egal, was es ist,
Freude, Glück, Schmerz, wie ein gefräÃiges Tier, eine unerträgliche Sehnsucht,
eine Gier nach etwas Unbekanntem â¦Â«
Teofilo verstummte. Was er in seiner Verzweiflung hervor gebracht
hatte, war so unsäglich dumm, dass er sich schämte.
»Der Dämon, den du beschreibst, haust in jedem Menschen«, sagte
Giovanni Graziano. »Es ist der Versucher selbst, und Gott hat uns die Freiheit
gegeben, uns zwischen beiden zu entscheiden, zwischen dem Weg des Heils und dem
Weg des Verderbens. â Sag, mein Sohn, willst du diesen Dämon besiegen? Die
Mächte der Dunkelheit in deiner Seele überwinden? Um aus der Finsternis ins
Licht zu treten?«
Teofilo nickte. »Ja, Heiliger Vater, das will ich. So wahr mir Gott
helfe!«
»Dann höre, was ich dir zur BuÃe deiner Sünden auferlege. Vierzig
Tage und vierzig Nächte sollst du fasten, abgeschieden von der Welt, wie einst
der Herr in der Wüste, um den Dämon abzutöten und deine Seele zu läutern. Bist
du dazu bereit?«
»Ja, Heiliger Vater. Das bin ich.«
»Und bist du bereit, wann immer der Versucher den Stachel des
Zweifels in dich senkt, dir diesen Stachel auszureiÃen?«
»Ja, Heiliger Vater. Das bin ich.«
»Und wenn du dich entscheiden musst, zwischen der Liebe zu Gott und
der Liebe zur Welt oder auch der Liebe zu den Menschen, bist du bereit, dich
für die Liebe zu Gott zu entscheiden, wie groà das Opfer auch sei, das Gott dir
dafür abverlangt?«
»Ja, Heiliger Vater. Das bin ich.«
Giovanni Graziano breitete die Arme aus zum Segen. Doch Teofilo
hatte noch eine Frage.
»Darf ich ⦠darf ich die Frau des Mannes heiraten, den mein Bruder
getötet hat?«
Teofilo blickte seinen Beichtvater an. Der aber schaute über ihn
hinweg, die blinden Augen in eine unbestimmte Ferne gerichtet, und legte seine
groÃe, schwere Hand auf seinen Scheitel.
»Ja, mein Sohn, du darfst Chiara di Sasso heiraten. Vorausgesetzt,
du tilgst deine Sünden durch die BuÃe, die ich dir auferlegt habe, und hältst
den Schwur, den du geleistet hast. Dann wird Gott Eure Verbindung segnen. In deo te absolvo  â¦Â«
Teofilo schloss die Augen, und zum ersten Mal seit langer, langer
Zeit glaubte er wieder, Gottes Liebe zu spüren.
15
Anna beugte sich über die Wäschetruhe und holte einen Stapel
Leinentücher daraus hervor.
»Mir ist, als wäre es erst gestern gewesen, dass wir dein Bettzeug
genäht haben«, sagte sie, während sie den Stapel auf einem Tisch ablegte.
»Gestern?«, fragte Chiara. »Ich war noch nicht mal halb so alt wie
heute.«
»Da kannst du mal sehen, wie jung du noch bist. Hier, sieh nur â
deine Initialen!« Anna hielt ein Laken gegen das Licht, damit man die
Buchstaben besser sehen konnte. »Die hast du selber gestickt.«
Gleich nach dem Frühstück waren die beiden Frauen auf den Dachboden
gegangen, um Chiaras Aussteuer durchzumustern. Zusammen hatten sie die schweren
Truhen in ihre Schlafkammer gewuchtet, wo sie jetzt die einzelnen Stücke zutage
förderten. Viele waren noch kein einziges Mal gebraucht.
»Wie habe ich die Näharbeit gehasst!«, erinnerte sich
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