Der Kinderpapst
als er Teofilos Stimme
hörte.
»Gott sei Lob und Dank, dass du noch einmal gekommen bist, bevor ich
scheide.« Er griff nach seiner Hand. »Mein Sorgenkind, mein armer, suchender,
irrender Sohn.«
»Ehrwürdiger Vater.« Teofilo küsste seine alte, knöcherige Hand.
»So viele Jahre hast du mich mit deinen Fragen gequält. Das
Geheimnis des Glaubens ⦠Nie wolltest du dich damit abfinden. Alles wolltest du wissen , mit dem Verstand durchdringen.«
»Ihr habt mich zur Demut ermahnt, immer wieder. Doch ich habe nicht
auf Euch gehört.«
»Ich bin kein Deut besser als du, mein Sohn. Ich wollte dich vor der
Sünde der Superbia bewahren. Und bin ihr selber zum Opfer gefallen.«
»Ihr habt nur versucht, wiedergutzumachen, was ich der Stadt Rom und
der Kirche angetan habe. Gottes Gnade ist groÃ, er wird Euch vergeben.«
Grazianos Augen schimmerten feucht. »Du sprichst von Gott und seiner
Gnade?«, fragte er. »Hast du also wirklich und dauerhaft zum Glauben
zurückgefunden?«
Teofilo nickte. »Chiara hat mir den Weg gezeigt.«
»Chiara di Sasso?«, fragte sein Pate.
»Wie hat sie das Werk vollbracht? Welche Worte hat sie gewählt?«
»Es waren nicht ihre Worte. Sie hat mich weder ermahnt noch
gedrängt. Ich habe nur in ihr Gesicht geschaut. Es ⦠es war, als würde ich in
einen Spiegel blicken.«
Giovanni Graziano hob die Brauen. »Und â was hast du in diesem
Spiegel gesehen?«
Teofilo musste schlucken, so sehr schmerzte ihn die Erinnerung.
»Mich selber, ehrwürdiger Vater. Aber ⦠aber mir fehlen die Worte,
um zu beschreiben, wie schrecklich es war.«
»Das ist gut«, sagte der Greis. »Dann war doch nicht alles vergebens.«
Er umarmte Teofilo und drückte ihn an seinen mageren, knöcherigen Leib. »Aber
sag mir, warum hast du Chiara di Sasso nicht geheiratet, wie es vereinbart
war?«
Teofilo zögerte. Sollte er sich seinem Paten anvertrauen?
»Es war der Wille meiner Mutter«, sagte er schlieÃlich. »Ihr letzter
Wunsch, bevor sie starb.«
»Contessa Ermilina hat dir auf dem Sterbebett verboten, Chiara di
Sasso zu heiraten?«, fragte sein Pate.
»Ja, ehrwürdiger Vater«, erwiderte Teofilo. »Und ⦠sie hat geschworen,
im Himmel über meinen Gehorsam zu wachen ⦠Und dass Gott, wenn ich mich
widersetze, Chiara an meiner Stelle strafen würde. Dass sie im Kindsbett
sterben muss, wenn sie von mir empfängt â¦Â« Seine Stimme erstickte.
Giovanni Graziano strich sich über den Bart. »Weià Chiara von dem
Fluch?«
Teofilo schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Meine Mutter hat mir
Schweigen auferlegt. Sie wollte, dass Chiara mich dafür hasst.«
Seine Pate dachte eine Weile nach. »Was für eine kluge und gottesfürchtige
Frau«, sagte er dann.
»Sie hat mein Leben zerstört!«, rief Teofilo. »Ich bete und faste
und tue alles, um Chiara zu vergessen. Doch keine Stunde vergeht, ohne dass mir
die Sehnsucht nach ihr das Herz zerreiÃt.«
»Ich verstehe deinen Schmerz, mein Sohn«, sagte Giovanni Graziano
»Und doch hast du richtig daran getan, deiner Mutter zu gehorchen.«
»Warum, ehrwürdiger Vater? Warum?«, fragte Teofilo verzweifelt.
»Weil der Verzicht auf Chiaras Liebe das Opfer ist, das Gott von dir
verlangt, um deine Sünden zu büÃen.«
»Woher wollt Ihr das wissen? Meine Mutter hat den Fluch ausgesprochen,
nicht Gott!«
»Contessa Ermilina war Gottes Werkzeug«, sagte sein Pate. »Ja,
verstehst du denn nicht? Kannst du das Zeichen wirklich nicht deuten?«
»Welches Zeichen?«
Giovanni Graziano richtete seine blinden Augen auf ihn. »Das Kind,
von dem Chiara di Sasso entbunden wurde.«
»Chiara â sie ⦠sie hat ein Kind?«, stammelte Teofilo.
»Ja, einen Sohn. Von ihrem Mann.«
Teofilo schloss die Augen. Dann hatte er sich also damals nicht
getäuscht, auf dem Marktplatz von Albano ⦠Chiaras gewölbter Bauch, der sich
unter ihrer Tunika abgezeichnet hatte â¦
Im selben Moment kam ihm eine bange Frage. »Hat sie die Geburt
überlebt?«
Sein Pate lächelte. »Sei unbesorgt. Mutter und Kind sind beide
wohlauf.«
»Gott sei Dank!« Erleichtert schlug Teofilo ein Kreuzzeichen.
»Begreifst du nun?«, fragte Giovanni Graziano.
»Ja, ehrwürdiger Vater.« Teofilo sank auf die
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