Der Kinderpapst
bestimmen, wer Rom
regiert. Die Entscheidungen, die wir Römer selbst getroffen haben, haben sich
im Nachhinein meist als wenig weise erwiesen.«
Chiara stieà einen Seufzer aus. Ihr Vater legte eine Hand um ihre
Schulter. »Ich weiÃ, was du jetzt denkst. Und ja, in manchen Nächten, in denen
ich nicht schlafen konnte, habe auch ich gedacht, vielleicht wäre alles anders
gekommen, wenn ich damals nicht den Vorschlag unterstützt hätte, Teofilo di
Tusculo â¦Â«
»Nein, Vater, Euch trifft keine Schuld.«
»Doch, mein Kind. Zwar habe ich nach bestem Wissen und Gewissen
gehandelt, doch es war ein Fehler, einen Knaben auf den Heiligen Stuhl zu
setzen. Dadurch, dass ich den Vorschlag der Tuskulaner unterstützte, habe ich
nicht nur Rom schweren Schaden zugefügt, sondern vielleicht auch das Glück
meiner Tochter zerstört.« Er blieb stehen und schaute sie an. »Wirst du mir das
je verzeihen?«
»Ach Vater, stellt mir nicht solche Fragen. Wenn Ihr mir einen
Gefallen tun wollt, besorgt mir lieber ein oder zwei Mägde. Wir haben in der
Herberge so viel zu tun, dass Anna und ich kaum wissen, wie wir die Arbeit
schaffen sollen.«
»Willst du jetzt gleich wieder zurück?«
»Natürlich. Ich habe Nicchino schon viel zu lange allein gelassen.«
»Dann wirst du mich also nicht zum Krönungsmahl begleiten?«
Chiara schüttelte den Kopf. »Ihr wisst doch, dass ich keine ruhige
Minute habe, wenn ich nicht bei ihm bin.«
Sie begleitete ihn noch zum Haupteingang des Lateranpalasts, in den
der Papst und der neue Kaiser geladen hatten.
»Vielleicht«, sagte er, »komme ich später noch vorbei und sage
meinem Enkelsohn gute Nacht.«
»Ja, tut das. Anna und Antonio würden sich auch über Euren Besuch
freuen.«
Mit einer Umarmung verabschiedeten sie sich. Während ihr Vater in
den Palast verschwand, schaute Chiara ihm nach. Alt war er geworden, müde und
erschöpft wirkte sein Gang, und die gebeugte Haltung verriet, wie sehr er unter
dem Rheuma litt, das ihn seit Jahren quälte. Oder waren es die Sorgen, die ihn
zu Boden drückten? Chiara kannte kaum einen Menschen, der mit so guten Absichten
so viele Fehler machte wie er.
Mit einem Seufzer machte sie sich auf den Weg. Höchste Zeit, zur
Arbeit zurückzukehren! Gleich würden die Pilger, die bei der Krönungsfeier
gewesen waren, in die Herberge strömen und nach Essen verlangen.
Mit gerafften Röcken lief sie die Freitreppe hinunter. Als sie die
Piazza überquerte, machte ihr Herz vor Freude einen Sprung.
»Teofilo â du?«
Wie aus dem Nichts stand er plötzlich vor ihr. Unsicher schaute er
sie an. »Ich ⦠ich wollte dir nur sagen, dass ich alles versucht habe, um mein
Versprechen zu halten. Damit du das Geld bekommst.«
Noch während er sprach, wich die Freude aus ihrem Herzen, und die
Erinnerung holte sie ein. Die Erinnerung an die gröÃte Enttäuschung ihres
Lebens.
»Warum hast du mir das angetan?«
Er wich ihrem Blick aus. »Ich ⦠ich wollte dich schützen«, sagte er
leise. »Vor mir. Vor uns.«
»Mich schützen? Ohne mir zu sagen, warum du mich zurück gewiesen
hast? So kurz vor unserer Hochzeit?«
Teofilo schwieg.
»Bitte, sag es mir.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich ⦠ich kann nicht.«
»Bitte, Teofilo.«
Sie sah, wie er mit sich kämpfte, wie er den Mund aufmachte und Luft
holte, zwei-, dreimal. Aber er schaffte es nicht.
»Bitte!«
Endlich hob er den Kopf und erwiderte ihren Blick. In seinen Augen
standen Tränen.
»Wenn ich dich geheiratet hätte«, sagte er, »hätte Gott dich dafür
gestraft.«
Chiara zuckte zusammen. »Wer behauptet das?«
»Das ⦠das darf ich nicht sagen.«
»Warum nicht?«
»Bitte glaub mir, es geht nicht anders. Das musst du mir glauben.«
»Ich â dir glauben?« Unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück.
»Nach allem, was passiert ist?«
»Bitte, Chiara!«
Sie sah in sein Gesicht, die flehenden Augen, seine Lippen, die ein
Lächeln versuchten, und wieder spürte sie, dass sie ihn immer noch liebte.
»Ich würde dir so gerne glauben«, flüsterte sie. »Aber das kann ich
nicht, Teofilo. Nicht mehr.«
NEUNTES KAPITEL: 1047â48
ABERRATIO
1
Es war Frühling in Rom. Die Sonne schien von einem blitzblanken
Himmel auf die Stadt herab, eine
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