Der Kinderpapst
waren von den Soldaten des Stadtregiments
entwaffnet worden.«
»Ja und?«
»Alberico wurde erstochen!«
»Was wollt Ihr damit sagen? Dass Gregorio seinen eigenen Vater �«
Der Kanzler sprach die Frage nicht aus. Doch um seine grauen Augen,
die sonst so reglos blickten, als habe er weder Seele noch Herz, zuckte es in
auffälliger Weise, während er die mundgerechten Stücke, die der Vorschneider
ihm auf das Essbrett gab, mit einer Gabel aufspieÃte und in zierlicher Weise
zum Mund führte. Sorgfältig kaute er den Fisch, dann nahm er einen Schluck von
dem schweren sizilianischen Wein, den er hatte einschenken lassen, und betupfte
seinen Mund mit einem weiÃen Leinentuch.
»Sagt keinem Menschen, was Ihr mir gesagt habt«, entschied er
schlieÃlich.
Domenico schluckte. Das war die letzte Auskunft, die er sich erhofft
hatte. Nur wenn er öffentlich bezeugte, was er in der Basilika gesehen hatte,
konnte er verhindern, dass Chiara ihn für einen feigen Meuchelmörder hielt.
Petrus da Silva sah seine Enttäuschung. »Roms Schicksal steht auf
dem Spiel«, erklärte er. »Wenn ruchbar wird, was Ihr mir anvertraut habt, gerät
der ganze komplizierte Mechanismus der Macht in dieser Stadt aus dem
Gleichgewicht.«
»Aber wenn es doch die Wahrheit ist!«, protestierte Domenico.
Der Kanzler schüttelte den Kopf. »Die Wahrheit ist, was der heiligen
katholischen Kirche nützt.«
Domenico wartete auf eine Erläuterung, was der rätselhafte Satz
bedeutete. Doch statt ihm Auskunft zu geben, schloss Petrus da Silva die Augen
und stützte mit beiden Händen Schläfen und Stirn, als trüge er an einer allzu
schweren Gedankenlast. Für einen Moment wirkte er wie ein Märtyrer. Aber nur
für einen Moment. Dann hob er wieder den Kopf, seine Züge strafften sich, und
er schaute Domenico entschlossen ins Gesicht.
»Ich danke Euch für Euer Kommen, und ich bin sehr froh, dass Ihr
Euch mir anvertraut habt. Damit habt Ihr der Kirche einen groÃen Dienst
erwiesen.«
»Der Kirche?«, fragte Domenico.
»Ja«, bestätigte der Kanzler. »Vorausgesetzt, Ihr seid bereit, vor
Gericht auszusagen. Wollt Ihr das tun?«
»Gewiss«, sagte Domenico. »Und es wäre mir eine groÃe Freude, weil â¦Â« Er brach den Satz ab, bevor er seinen wahren Beweggrund verriet. »Aber«,
fügte er hinzu, »ich ⦠ich dachte, ich sollte schweigen. Das habt Ihr eben noch
gesagt â¦Â«
»Wir haben es uns anders überlegt«, sagte Petrus da Silva. »Ihr habt
Recht â die Wahrheit soll ans Licht. Allerdings«, fuhr er mit erhobener Stimme
fort, »muss ich Euch darauf hinweisen, dass Ihr nur aussagen dürft, was Ihr
wirklich gesehen oder gehört habt und reinen Gewissens vor Gott bezeugen
könnt.«
»Nämlich?«
»Dass der Sabiner Ugolino zu dem Aufstand aufgerufen hat«, erklärte
der Kanzler.
»Und der Mord an Alberico? Was ist damit? Das Messer, das Gregorio
trug?«
»Gregorio?«, erwiderte Petrus da Silva mit erhobenen Brauen. »Seid
Ihr wirklich sicher, dass er das Messer führte?
Warum? Wozu? Um seinen Vater umzubringen? Das gibt doch keinen Sinn!«
Domenico schwieg.
»Seht Ihr?«, fuhr er fort. »Dafür habt Ihr keine Erklärung.«
»Aber ich habe doch mit eigenen Augen â¦Â«
»Gar nichts habt Ihr!«, fiel Petrus ihm ins Wort. »Ihr wart verwirrt!
Die Sonnenfinsternis täuschte Eure Sinne, auÃerdem ging alles so schnell. Mann,
begreift doch! Ugolino hat den Aufstand angeführt! Er und niemand sonst ist der
Mörder!«
»Das ist nicht wahr!«
»Gut, wenn Ihr so sicher seid â könnt Ihr dann, wenn man Euch vor
Gericht befragt, vor Gott beschwören, dass es nicht so war?«
»Was ist das für eine Frage?« Domenico war empört. »Wie soll ich
beschwören, was ich NICHT gesehen habe? Ich kann
doch nur bezeugen, was geschehen IST â¦Â«
»Richtig«, bestätigte der Kanzler. »Und was Ihr bezeugen könnt, ist,
dass Ugolino einen Aufstand angezettelt hat, um den Papst zu stürzen und die
Macht der Tuskulaner zu brechen.« Er griff zu der abgelegten Gabel und spieÃte
ein weiteres Stück Fisch auf. »Glaubt Ihr an die Unsterblichkeit der Seele?«,
fragte er, ohne die Gabel zum Mund zu führen.
»Ja, gewiss, Eminenz«, antwortete Domenico, überrascht von
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