Der Kinderpapst
⦠Und dann
sein Vater, der plötzlich vor ihm zu Boden gesunken war ⦠Nur die
Sonnenfinsternis hatte Teofilo gerettet. Beim Anblick des Unheil bringenden
Zeichens war seinen Widersachern der Schreck so in die Glieder gefahren, dass
sie für einen Moment wie gelähmt gewesen waren und er hatte fliehen können.
Teofilo klopfte den Hals seines Pferdes. Er hatte es einem halbwüchsigen
Knappen entrissen, der mit dem Tier seines Herrn vor der Basilika auf das Ende
der Messe gewartet hatte.
Mit dem Absatz trieb Teofilo den Wallach an einen Bach und lieà ihm
die Zügel lang, damit er saufen konnte. Erst jetzt, da er ein wenig zur Ruhe
kam, spürte er die schmerzenden Striemen im Gesicht, und seine Waden, die statt
von ledernen Reitstiefeln nur von verrutschenden Samtstrümpfen gegen das
Riemenzeug geschützt waren, brannten wie Feuer. Er beugte sich im Sattel herab
und betastete seine Schenkel. Die Haut war an mehreren Stellen bis aufs blanke
Fleisch durchgescheuert.
Er biss die Zähne zusammen und richtete sich wieder in den
Steigbügeln auf. Als er im Bach sein Gesicht sah, erschrak er. Seine Stirn, die
Wangen â alles war verschmiert von seinem Blut.
Im selben Moment kehrte die Angst zurück. Wo sollte er sich
verstecken? Durch das Laub der Bäume spähte er ins Tal, um zu schauen, ob er
verfolgt wurde. Gegen die tief stehende Abendsonne beschattete er mit der Hand
die Augen. Doch auÃer einem Bauern, der auf einem Esel die StraÃe herauf
gezockelt kam, konnte er niemanden entdecken.
Sollte er es wagen, nach Hause zu reiten? In der Ferne sah Teofilo
die Tuskulanerburg. Wie eine Festung erhob sie sich über dem Wald. Aber sein
Vater war tot, und vielleicht hatten sie Gregorio auch erwischt ⦠Nein, er
konnte es nicht riskieren â die Gefahr war zu groÃ. Womöglich hatten sich seine
Feinde schon in der Burg verschanzt und warteten nur darauf, dass er ihnen in
die Falle ging. Um auch ihn zu erledigen.
Ein kühler Abendwind strich über das Land. Teofilo fröstelte. In
einer Stunde würde es dunkel sein, und er konnte nicht mehr weiterreiten. Wo
sollte er die Nacht verbringen? Nur ein Ort fiel ihm ein, wo er sich sicher
fühlen konnte.
Er nahm die Zügel wieder auf und wendete sein Pferd.
4
»Benedikt ist nichts passiert!«, beteuerte Domenico. »Ich habe
mit eigenen Augen gesehen, wie er geflohen ist. Er ist auf ein Pferd gesprungen
und davongaloppiert.«
»Was für ein Pferd? Woher hatte Teofilo ein Pferd?«
»Wie soll ich das wissen? Auf jeden Fall habt Ihr keinen Grund, Euch
Sorgen zu machen.«
Chiara hörte seine Worte â doch konnte sie ihm glauben? Seit seiner
Rückkehr aus Rom versuchte ihr Mann, sie zu beruhigen, und schwor alle Eide,
dass Teofilo den Angreifern entkommen sei, unverletzt. Aber was immer Domenico
sagte, ein Verdacht blieb: ein schlimmer, fürchterlicher Verdacht, der sich wie
Wundbrand in ihre Seele gefressen hatte.
»Wart Ihr an dem Attentat beteiligt?«
»Nein«, sagte Domenico. »Ich habe damit nichts zu tun â mein
Ehrenwort! Wie könnt Ihr nur auf so einen Gedanken kommen!« Er nahm ihre Hand
und zog sie zu sich. »Warum glaubt Ihr mir nicht? Habe ich Euch je belogen?«
Sie spürte den Druck seiner Hand. Nein, er hatte sie noch nie belogen,
ihr immer die Wahrheit gesagt. Aber hätte sie je gedacht, dass er mit einem
vertrockneten Apfel versuchen würde, ihr Herz zu erobern? Und trotzdem hatte er
es getan. Auch hatte sie vor ein paar Wochen eine Alraune in seinem Wams
entdeckt, und Anna hatte ihn einmal dabei beobachtet, wie er gedörrtes und
pulverisiertes Taubenherz in Chiaras Brei gemischt hatte â ein Zaubermittel
eifersüchtiger Männer, die ihre Frauen daran hindern wollten, einen anderen
Mann zu lieben. Wenn Domenico nun glaubte, dass es einen anderen Mann gab, den
sie liebte, auch wenn sie selbst ihn gar nicht lieben wollte, ja, sie ihn sich
täglich von Neuem aus dem Herzen riss â war seine Angst, sie zu verlieren,
nicht Grund genug, sie zu belügen? Und sich den Verschwörern anzuschlieÃen? Und
Dinge zu tun, die sie ihm sonst niemals zugetraut hätte? Sie war so aufgewühlt,
dass ihr vor Aufregung ganz übel wurde.
»Habt Ihr mich damals belauscht?«, fragte sie.
»Ich ⦠ich weià nicht, wovon Ihr sprecht â¦Â«, stammelte er.
»Wisst Ihr das wirklich nicht?« Sie schaute ihn an.
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