Der Kinderpapst
und stolpernd
immer tiefer in ein Unterholz hineingeriet, aus dem es scheinbar kein Entrinnen
gab.
Mit geschlossenen Augen lag er da und versuchte, sich zu erinnern. Nur
quälend langsam befreiten sich seine Gedanken von dem Albtraum der Nacht und
fanden allmählich zurück ins Bewusstsein. Seine Glieder schmerzten, als hätte
er Stunden im Sattel verbracht, und der Boden unter ihm fühlte sich an wie
nackte Erde.
Warum lag er nicht in seinem Bett?
Als er die Augen aufschlug, sah er im hellen Licht des Morgens über
sich eine Kuppel aus Zweigen: die Dornenhecke, in deren Schutz er die Nacht
verbracht hatte. Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Und er begriff, dass die
Wirklichkeit viel schlimmer war als sein Traum.
In der Ferne schlug eine Glocke. Teofilo richtete sich auf. Mit dem
Schlag dieser Glocke hatte sein Unglück begonnen. Damals hatte sie vom Tod
seines Onkels gekündet, seines Vorgängers auf dem Papstthron, Johannes XIX . ⦠Jetzt galt die Glocke seinem Vater.
Was sollte er tun? An wen sich wenden?
In seiner Verzweiflung faltete er die Hände, um zu beten.
»Gütiger Gott, Jesus Christus, allmächtiger Vater, Herr im Himmel
und Heiland, ich flehe dich an, steh mir bei in meiner Not â¦Â«
Während er die hilflosen Worte stammelte, hörte er plötzlich
Geräusche. Sein Pferd, das er hinter der Hecke angebunden hatte, schnaubte und
stampfte mit den Hufen.
Voller Angst hielt er den Atem an.
Was war das?
Hatten sie ihn gefunden?
DrauÃen näherten sich leise Schritte.
»Teofilo â bist du hier?«
Er glaubte, die Stimme zu erkennen, doch er konnte es nicht glauben.
Hatte Gott ihm einen Engel geschickt? Oder lauerten da drauÃen
irgendwelche Teufel und Dämonen, die ihm eine Wirklichkeit vorgaukelten, die es
gar nicht gab?
Leise, um sich nicht zu verraten, stand er vom Boden auf und bewegte
sich zum Ausgang der Dornenhöhle.
Mit pochendem Herzen schob er ein paar Zweige zur Seite und schaute
hinaus.
Zuerst sah er nur ihr offenes Haar.
Träumte er noch? Oder sah er wirklich in dieses Engelsgesicht?
8
Die Totenglocke dröhnte so laut in Gregorios Schädel, dass er
Angst hatte, verrückt zu werden. Wenn nur endlich jemand den verfluchten Sarg
schlieÃen würde! Während die Bauern und Pächter der Grafschaft in die
Burgkapelle strömten, um von Alberico Abschied zu nehmen, hatte er das Gefühl,
dass sein Vater noch mit toten Augen jede seiner Bewegungen verfolgte â ja, er
bildete sich sogar ein, die Stimme des Alten zu hören.
Was bist du doch für ein HosenscheiÃer! Und so
was will der erste Konsul von Rom werden â¦
Gregorio starrte auf das wächserne Gesicht.
»Was kann ich nur tun, damit Ihr mir verzeiht?«
Sorg dafür, dass mir das gottverdammte Fegefeuer
erspart bleibt!
»Wie soll ich das machen?«
Was weià ich, du Idiot? Frag deinen Bruder! Der
ist schlieÃlich Papst!
»Teofilo ist verschwunden ⦠Keiner weiÃ, wo er steckt â¦Â«
»Mit wem redest du?«, fragte seine Mutter, die zusammen mit Petrus
da Silva die Beileidsbekundungen der Trauergäste entgegennahm.
»Ich ⦠ich habe nur gebetet«, erwiderte Gregorio und nickte einem
alten Tagelöhner zu, der sich vor dem Toten bekreuzigte. Als er den Greis mit
dem schlohweiÃen Haar sah, kam ihm ein fürchterlicher Gedanke. »Wisst Ihr, ob
Giovanni Graziano wohl auch zur Beerdigung kommt?«
»Ich wollte, er täte es«, seufzte seine Mutter. »Aber er hat ausrichten
lassen, dass er in seiner Einsiedelei für die Seele deines Vaters beten will.«
»Seid Ihr ganz sicher?«
Statt ihm zu antworten, drückte Ermilina dem Tagelöhner eine Münze
in die Hand, um ihm für sein Kommen zu danken. Gregorio war erleichtert, aber
nur für einen Moment. Die Welt konnte er vielleicht täuschen â aber Gott? Ãber
ihm schwebte eine viel gröÃere, viel schlimmere Gefahr als die Entdeckung
seines Verbrechens durch den Einsiedler! Sein Beichtvater hatte ihm die Absolution
verweigert ⦠Ohne Absolution würde die Sünde auf ihm lasten bis zum Jüngsten
Tag, und wenn der Allmächtige Gericht hielt über ihn, würde er für immer in der
Hölle brennen!
Die Angst fuhr in ihn ein wie der Leibhaftige, und er begann am
ganzen Leib zu zittern.
»Jetzt reià dich zusammen!«, zischte seine Mutter. »Du bist das
Oberhaupt der
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