Der Kinderpapst
hatte Abt Bartolomeo ihr ins
Gewissen geredet.
»Der Herr kann sich nicht um alles kümmern«, hatte er gesagt.
»Manchmal braucht er auch unsere Hilfe. Vor allem, wenn es um unser Seelenheil
geht.«
Am äuÃeren Burgtor verabschiedete Chiara sich von den Mönchen.
Während sie mit schweren Beinen den Burgweg hinaufstieg, hörte sie die
vertrauten, alltäglichen Geräusche, mit denen sie hier so oft aufgewacht und
eingeschlafen war: das Blöken der Schafe, das Bellen der Hunde, das Wiehern der
Pferde, das Hämmern der Schmiede und Sägen der Zimmerleute. Und doch war ihr
zumute, als hörte sie all diese Geräusche zum ersten Mal, so fremd waren sie
ihr geworden.
»Chiara! Was für eine Ãberraschung!« Mit hochrotem Gesicht kam Anna
aus der Küche in den Hof gelaufen, um sie zu empfangen. »Aber warum hast du uns
keine Nachricht geschickt? Wenn der Herr gewusst hätte, dass du heute kommst,
wäre er doch nie und nimmer in die Stadt geritten.«
»Domenico ist in Rom?«, fragte Chiara, beinahe erleichtert.
»Ja, zu irgendeiner Versammlung der Patrizier. Und mir hättest du
auch Bescheid sagen können. Jetzt habe ich gar nichts vorbereitet. Noch nicht
mal das Bett ist gemacht!«
Chiara war so froh, ihre Zofe zu sehen, dass sie ihr um den Hals
fiel und sie mit beiden Armen an sich drückte. Anna war der einzige Mensch, den
sie jetzt um sich haben wollte. Anna kannte sie, seit sie ein Kind war. Anna
hatte immer zu ihr gehalten. Wenn Anna da war, konnte ihr nichts Schlimmes
passieren.
»Aber Kindchen!« Ihre Zofe wurde noch ein bisschen röter im Gesicht
und machte sich von der Umarmung frei. »Was sollen denn die Leute denken?«
Tatsächlich hatte der Schmied, der vor dem Stall gerade ein Pferd
beschlug, den Hammer sinken lassen und glotzte neugierig zu ihnen herüber. Anna
wandte sich ab und ging voraus ins Wohngebäude. Chiara folgte ihr nach, vorbei
an der Kapelle und die enge Treppe hinauf zur Schlafkammer, wo Anna sich
sogleich daranmachte, das Bett herzurichten und die Pelzkissen und daunengefütterten
Steppdecken mit frisch gewaschenen Leinentüchern zu beziehen. Obwohl sie so
viel Zeit auf der Krankenstation des Klosters verbracht hatte, fühlte sie sich
immer noch unendlich schwach und leer. Nicht von der Fehlgeburt, sondern von
der Traurigkeit, die seit dem Abschied von Teofilo wie eine schwarze Krake in
ihrer Seele hauste.
»Wie soll ich das nur schaffen?«, flüsterte sie und starrte auf das
Ehebett.
»Wenn man Blut verloren hat, muss man tüchtig essen, vor allem
Fleisch und Wurst.« Ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, schaute Anna über die
Schulter. Als sie Chiaras Gesicht sah, begriff sie. »Vielleicht wäre es besser,
wenn du und der Herr erst mal getrennte Schlafkammern beziehen würden? Ich
meine, bis du wirklich wieder gesund bist?«
Chiaras linke Schulter juckte, und während sie beide Schultern
kratzte, hatte sie für einen Moment das Gefühl, dass wirklich nichts und
niemand ihr etwas anhaben konnte, wenn Anna bei ihr war. Aber dann musste sie
wieder an Domenico denken.
»Und mein Mann?«, fragte sie. »Was glaubst du, wird er dazu sagen?«
»Die Gesundheit geht vor«, entschied Anna. »AuÃerdem ist der Herr ja
noch in der Stadt. Und später sehen wir weiter.«
3
»Jeder Römer, dem das Wohl unserer Bürgerschaft am Herzen
liegt, muss diesen Brief unterschreiben!«
»Von welchem Wohl sprecht Ihr? Dem Wohl Roms? Oder dem Wohl Eurer
Familie?«
»Vom Wohl Roms und aller Familien!«
Ein Streit war unter den römischen Edelmännern entbrannt, als ginge
es um die Ernennung eines neuen Papstes. Bis auf Gregorio di Tusculo, den
ersten Konsul, und seine Brüder hatten sich alle Vertreter der herrschenden
Familien bereits vor der eigentlichen Versammlung getroffen, um über einen
Brief an den Kaiser abzustimmen, den der Sabinergraf Severo, der Vater des von
Papst Benedikt verurteilten und durch das Feuer hingerichteten Ugolino,
verfasst hatte. Darin führte Severo all die Missstände und Verbrechen auf, für
die der Tuskulanerpapst und seine Regierung verantwortlich waren, und
appellierte an den Kaiser, den Pontifex mit sofortiger Wirkung seines Amtes zu
entheben, um wieder für Recht und Ordnung in der Heiligen Stadt zu sorgen.
»Wir haben einen Papst auf den Thron gesetzt, der mit dem Teufel im
Bund steht! Benedikt
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