Der Kinderpapst
Namen.«
»Ugolino.«
»Der Sohn des Sabinergrafen Severo?«
Domenico bejahte.
»Mit welchen Worten hat er den Aufstand geschürt?«
»Nieder mit dem Papst«, sagte er. »Nieder mit dem Zauberer.«
»Und das Messer?«, fragte der Kanzler weiter. »Habt Ihr gesehen, wer
das Messer führte, mit dem Alberico erstochen wurde?«
Domenico zögerte. Was er bis jetzt ausgesagt hatte, war nichts als
die Wahrheit, auf die er jeden Eid schwören konnte, vor seinem Gewissen und vor
Gott. Doch mit der letzten Frage änderte sich alles ⦠Panisch wanderte sein
Blick zwischen dem Angeklagten und dem wahren Mörder hin und her. Ugolino
starrte ihn mit groÃen Augen an, das Gesicht kreidebleich. Doch auch Gregorio
hatte Angst. SchweiÃperlen standen auf der Stirn, und er kaute unablässig an
den Nägeln.
»In wessen Hand habt Ihr das Messer gesehen?«, insistierte Petrus da
Silva.
Domenico war unfähig zu sprechen. Was immer er sagte, es gab keine
richtige Antwort. Entweder Ugolino oder er â einer von ihnen würde für die Tat
büÃen, die Gregorio begangen hatte.
In seiner Verzweiflung schloss er die Augen. Was nützten all die
klugen und frommen Lehren, die man ihm beigebracht hatte, angesichts dieser
Entscheidung? Kein Philosoph, kein Kirchenvater konnte ihm die Antwort
abnehmen.
Entweder Ugolino oder er â¦
Als er die Augen aufschlug, sah er Teofilo. Stumm wie eine Puppe saÃ
er in seinen prachtvollen Gewändern auf dem Thron, die fleischigen Lippen einen
Spalt weit geöffnet, wie zu einem spöttischen Lächeln.
Diese Lippen hatte Chiara geküsst!
Wie Säure schoss die Eifersucht Domenico ins Blut und überschwemmte
seinen ganzen Leib.
Petrus da Silva zeigte auf den Angeklagten. »Hat dieser Mann das
Messer geführt?«, fragte er. »Ja oder nein?«
Die Wahrheit würgte in Domenicos Kehle wie eine unverdaute Speise.
»Ja«, flüsterte er und nickte. Lieber wollte er in der Hölle büÃen,
als die Vorstellung ertragen, dass Chiara ihn für einen feigen Verschwörer
hielt.
Gregorio klopfte mit seinem Richterstab auf den Boden. »Damit ist
der Täter überführt!«
»Nein!«, rief Ugolino und sprang von der Anklagebank auf.
»Setzt Euch!«
Mit einer Kopfbewegung wies der Kanzler die Wachsoldaten an, Ugolino
an seinen Platz zurückzubringen. Während die Posten ihn abführten, drehte
dieser sich zu Domenico herum. »Warum lügst du? Du weiÃt doch, dass ich es nicht
war! Sag die Wahrheit! Bei deiner Seele und allen Heiligen!«
Domenico sah die Todesangst in seinem Gesicht. Noch konnte er seine
Aussage widerrufen und den Namen des wahren Mörders nennen.
Aber wenn er das tat â wie konnte er Chiara dann je von seiner
Unschuld überzeugen?
Petrus da Silva hob nur eine Braue. »Wollt Ihr Euren Worten noch
etwas hinzufügen?«, fragte er. »Wenn ja, bedenkt die Folgen. Sagt Ihr etwas,
wodurch der Angeklagte die Freiheit erlangt, wird das Urteil an Euch selbst
vollstreckt.«
Die grauen Augen des Kanzlers strahlten eine solche Kälte aus, dass
Domenico fröstelte. Nichts in dem ebenmäÃigen Gesicht lieà auf eine innere
Regung schlieÃen. Die Wahrheit ist, was der heiligen
katholischen Kirche nützt ⦠Nein, dieser Mann, der keinerlei Rücksicht
auf sich selbst nahm, würde auch keine Rücksicht auf irgendeinen anderen
Menschen nehmen, wenn die Interessen der Kirche auf dem Spiel standen. Domenico
glaubte wieder die Ausdünstungen des Fisches zu riechen, den Petrus da Silva in
seiner Gegenwart verspeist hatte, und der Magen zog sich ihm zusammen. In einer
Mischung aus Angst und Scham und Ekel vor sich selbst würgte er die Wahrheit
hinunter.
Der Kanzler wartete noch eine kurze Weile. Dann wandte er sich an
den Richter: »Wenn Euer Gnaden das Urteil sprechen wollen?«
19
Der Rauch des Scheiterhaufens, der seit dem Morgengrauen im
Cortile loderte, leckte an den Mauern der Engelsburg, kräuselte sich unter den
Erkern und Loggien und stieg an der Fassade hinauf zu den Fenstern der
päpstlichen Wohnung, in der Teofilo mit seiner Mutter beim Frühstück saÃ.
Obwohl Ermilina ihm seine Lieblingsspeise hatte auftragen lassen, honiggesüÃten
Hirsebrei mit Datteln, hatte er noch keinen einzigen Löffel gegessen.
Ein Schrei, wie wenn ein Tier geschlachtet wird, gellte vom Hof
empor.
»Der Herr sei
Weitere Kostenlose Bücher