Der Kinderpapst
versündigt sich an den Sakramenten! Wegen ihm leidet das
Volk Hunger! Er hat mit seiner Zauberei das Viehsterben über die Stadt
gebracht! Die Sonnenfinsternis war der Beweis! Und er hat meinen Sohn
ermordet!«
Domenico verfolgte die Debatte, ohne das Wort zu ergreifen. Er war
mit seinem Schwiegervater Girardo di Sasso gekommen, doch nachdem dessen
Vorschlag, mit den Tuskulanern zu verhandeln, statt den Kaiser um Hilfe zu
rufen, bei der Mehrheit auf Ablehnung gestoÃen war, hatte Chiaras Vater die
Versammlung vorzeitig verlassen.
»Und Ihr? Was ist mit Euch?«
Unsicher blickte Domenico auf den Brief, den Severo ihm unter die
Nase hielt. Wusste der Sabiner, dass er vor Gericht gelogen hatte? Zwar hatte
Ugolino den Aufstand angeführt, und vielleicht war es ja wirklich seine Absicht
gewesen, Benedikt zu ermorden, und Alberico war ihm im Tumult nur durch ein
Missgeschick zum Opfer gefallen ⦠Doch so sehr Domenico versuchte, sein Gewissen
zu beruhigen â die Anklage, zu der Petrus da Silva ihn gezwungen hatte,
verfolgte ihn bis in die Träume und er wachte in manchen Nächten schweiÃgebadet
in seinem Bett auf, gepeinigt von der Angst vor Gottes Strafe ebenso wie vor
der Rache der Sabiner. Doch was würde passieren, wenn er sich der Opposition
anschloss und den Brief an den Kaiser unterschrieb? Würde er damit nicht in Chiaras
Augen ihren Verdacht bestätigen, dass er trotz allem an dem Attentat beteiligt
gewesen war?
»Nun, worauf wartet Ihr?«
Während Severo auf eine Entscheidung drängte, weil jeden Moment die
Tuskulaner auftauchen konnten, entdeckte Domenico in dem Brief eine merkwürdige
Zeile. Darin war von einer Frau die Rede, vom Verdacht eines Ehebruchs â mit
dem Papst â¦
War damit Chiara gemeint, seine Frau?
Bei der Vorstellung packte Domenico die Eifersucht, und Bilder, die
stärker waren als sein Gewissen und seine Angst, zuckten wie Blitze durch
seinen Kopf. Bilder von nackten, ineinander verschlungenen Leibern.
»Nein«, sagte er. »Ich kann das nicht unterschreiben.«
Severo trat noch näher zu ihm heran. »Durch Eure Klage habe ich
meinen Sohn verloren«, erklärte er. »Wenn Ihr diesen Brief unterschreibt, bin
ich bereit, weiter mit Euch in Frieden zu leben. Um der alten Freundschaft
unserer Familien willen, und um Schaden von der Stadt Rom abzuwenden. Wenn Ihr
aber Eure Unterschrift verweigert, müssen wir glauben, dass Ihr ein Verbündeter
der Tuskulaner seid und vor Gericht gelogen habt. Um meinen Sohn ans Messer zu
liefern. Dann sind wir Feinde. Also rate ich Euch â unterschreibt!«
Domenico sah die roten Ãderchen in den Augen des Sabiners, roch
seinen Knoblauchatem. Doch er rührte sich nicht.
»Also Feinde!«, sagte Severo, als Domenico schwieg. Ohne den Blick
von ihm zu wenden, reichte er den Brief einem Kurier. »Bring dieses Schreiben
nach Cremona, zum Kaiser! So schnell du kannst! Und wenn du ein Dutzend Pferde
zu Tode reitest!«
4
Petrus da Silva hatte sich in den Verhandlungen mit dem kaiserlichen
Truchsess durchgesetzt: Nicht der Kaiser empfing den Papst im Dom von Cremona,
sondern der Papst den Kaiser. Während Teofilo mit feuchten Händen die Armlehnen
des Throns umspannte, der im Altarraum für ihn aufgestellt worden war, zog
Konrad an der Spitze seiner Berater in das Gotteshaus ein. Teofilo fühlte sich
wie in einem Traum. Als würde ein Dämon ihm die Sinne verwirren und falsche
Bilder vorgaukeln, sah er, wie der Kaiser vor ihm auf die Knie sank und das
bekrönte Haupt beugte.
»Ewige Heiligkeit.«
Teofilo war für einen Moment auÃerstande, etwas zu erwidern. Vor
wenigen Tagen noch hatte er in Rom um sein Leben bangen und sich in die
Engelsburg verkriechen müssen wie ein Strauchdieb auf der Flucht â und jetzt
diese Ehrbezeugung des mächtigsten Herrschers auf Erden? Er musste seine ganze
Willenskraft aufbieten, um dem Kaiser den päpstlichen Ring hinzuhalten und die
wenigen Worte zu stammeln, die Petrus da Silva ihm eingetrichtert hatte.
»Wir sind glücklich, Euch zu sehen. Hattet Ihr eine gute Reise?«
Statt sich mit Förmlichkeiten aufzuhalten, kam Konrad gleich zur
Sache. »Ich brauche Eure Hilfe, Heiligkeit«, erklärte er, noch bevor er sich
erhoben hatte.
»Ihr? Unsere Hilfe?«, fragte Teofilo irritiert.
»Ja, Ewige Heiligkeit. Ich möchte Euch bitten, Erzbischof Eribertos
Absetzung und Exkommunikation
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