Der Kindersammler
Kindern gehört hatten.
60
Als Anne auf der Piazza del Campo in Siena ankam, war sie über eine Stunde zu spät und äußerst gereizt. Es war alles schief gegangen an diesem Nachmittag. Sie hatte zu lange mit Eleonore geredet, hatte sich nicht rechtzeitig auf den Rückweg gemacht und war viel zu spät, staubig, verschwitzt und kaputt im Tal angekommen.
Dennoch hätte die Zeit gerade noch für eine heiße Dusche gereicht. Sie wollte sich nur schnell die Haare waschen, föhnen und dann nach Siena aufbrechen.
Aber im Tal gab es keinen Strom und somit auch kein fließendes Wasser, da die Wasserpumpe nicht arbeitete. Nach einem kurzen, aber heftigen Gewitter war die Hauptsicherung herausgesprungen, und Carla wusste nicht, wo Enrico den Schlüssel zum Stromhäuschen aufbewahrte. Enrico war von Casa Meria noch nicht zurück. Er arbeitete sicher bis Sonnenuntergang, und das war so gegen einundzwanzig Uhr.
Anne war dem Wahnsinn nahe. Sie freute sich so auf den Abend mit Kai und fühlte sich klebrig und schmutzig. Sie überlegte, ob sie den Berg hinauf steigen sollte, wo sie mit ihrem Handy Empfang hatte, um ihn anzurufen und die Verabredung abzusagen..., aber sie hatte das Gefühl, keinen Meter mehr gehen zu können. Schon gar nicht bergauf.
Mit dem Wasser aus dem dunkelgrün veralgten Pool wusch sie sich notdürftig und verfluchte Carla wegen ihrer Unwissenheit und Unselbstständigkeit. Aber Carla sah nirgends ein Problem. Es gäbe Schlimmeres als einen Stromausfall. An so etwas müsse man sich in Valle Coronata gewöhnen, meinte sie.
Anne ließ sich auf keine weiteren Diskussionen ein. Sie zog sich frische Sachen an, schminkte sich flüchtig, warf ihre wichtigsten Schminkutensilien samt Zahnbürste in ihre Handtasche und brauste los.
Auf dem felsigen Feldweg kurz vor Duddova kam ihr ein Trecker entgegen, der stur auf sie zuhielt und selbstverständlich erwartete, dass sie die kurvige steile Schotterstraße rückwärts zurückfuhr, bis sich eine Ausweichmöglichkeit ergab. Sie hatte Lust auszusteigen und diesem tumben Waldarbeiter zu erklären, wie einfach es wäre, mit dem Trecker in das Olivenfeld auszuweichen, aber dazu fehlten ihr die Worte. Außerdem hielt dieser Einheimische sie sicher für eine Touristin und war dementsprechend hals starrig. Noch kannte er sie nicht. Noch wusste niemand, dass sie die neue Besitzerin und Bewohnerin von Valle Coronata war.
Das Ausweichmanöver kostete sie weitere fünf Minuten, und es war zwanzig vor sieben, als sie endlich auf die asphaltierte Landstraße Richtung Siena einbog.
Für Anne war Siena die schönste Stadt der Welt, sie hatte nur einen Schönheitsfehler: Es gab keine Parkplätze. Mittlerweile hatte sie es sich zur Angewohnheit gemacht, beim Stadio Comunale zu parken und dann zum Campo zu laufen, aber an diesem Abend waren die Zufahrtsstraßen zum Stadion total verstopft. Anne stand im Stau und sah nervös aus die Uhr. Fünf nach sieben. Es würde noch ewig dauern, bis sie auf dem Campo war. Hoffentlich hatte Kai jede Menge Geduld.
Der Stadion-Parkplatz war gesperrt, Hunderte kurvten durch die Gegend, um für ein Fußballspiel, das morgen stattfand, Karten zu kaufen.
»Es soll offensichtlich nicht sein«, schimpfte Anne vor sich hin. »Der liebe Gott legt seine Hand über mich und bewahrt mich vor allen moralischen Verfehlungen und fleischlichen Sünden, es soll wirklich nicht sein, verdammt noch mal.« Wütend schlug sie auf das Lenkrad und schlängelte sich hupend und rücksichtslos an einer wartenden Autoschlange vorbei.
Eine grüne Ampel, noch eine, sie fuhr zügig und wusste nicht mehr, wo sie war. Sie spürte nur, dass sie sich immer mehr aus dem Stadtzentrum entfernte.
Als sie mit dem fließenden Verkehr bis hinter die Stadtmauer geschwemmt wurde, beschloss sie anzuhalten und auf die Karte zu gucken, aber sie musste noch über drei weitere Kreuzungen fahren, bis sie endlich ein Schild mit einem Straßennamen entdeckte. Viale Giuseppe Mazzini, das war auf ihrer Karte ganz oben am Rand. Sie wendete mit quietschenden Reifen, um durch das Porta Olive und dann Richtung Palazzo Salimbeni zu fahren, aber die Straßenführung war dermaßen verwirrend und ganz anders, als auf ihrer Karte eingezeichnet, sodass sie beim Porta Camollia landete. Das lag weit hinter dem Stadion, wo sie herkam, und war das Stadttor Sienas, das am weitesten von der Piazza del Campo entfernt war.
Kurz vor halb acht. Anne war nahe daran, den Verstand zu verlieren, und überlegte, einfach
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