Der Kindersammler
seiner wissenschaftlichen Arbeit vernichtet. Es sei so feucht in der Mühle, dass er Asthma und seine Freundin Rheuma in den Knien bekommen habe.
Er habe ja keine Ahnung gehabt, dass eine derartige Maßnahme, die nur dem Tal, dem Haus und der Natur zugute kommen sollte, einer Genehmigung bedurfte. Darum hatte er hart und schnell gearbeitet, um weiteren Schaden abzuwenden und außerdem seiner Freundin einen Gefallen zu tun, die diesen Pool liebte und fast das ganze Jahr hindurch darin badete. Es hätte nicht mehr lange gedauert, und dieser kleine Naturpool im Herzen des Tals wäre durch die Gewalt des Wassers für immer zerstört gewesen. Aber er, Enrico, schwöre, dass er nie wieder einen Sack Zement verarbeiten werde, ohne vorher eine Erlaubnis eingeholt zu haben. Er achte und respektiere die italienischen Gesetze, weil sie sinnvoll und gerecht seien, soweit er das als Deutscher beurteilen könne, denn leider wisse er viel zu wenig davon, was zum größten Teil an den Sprachschwierigkeiten liege. Aber er nehme sich auch deshalb je den Abend zwei Stunden Zeit, seine Sprachkenntnisse zu vergrößern und zu vervollkommnen.
Dann zeigte er dem Forestale-Chef, der in Italien auf dem Land mehr zu sagen hatte als ein Bürgermeister und von allen gefürchtet wurde, das Haus, das er beinah aus dem Nichts erschaffen hatte, und die Bilder der verfallenen Ruine.
Der Maresciallo war beeindruckt von diesem integren Deutschen, der so viel Arbeit investierte, so viel Geschmack hatte und es offensichtlich auch allen recht machen wollte.
Nach zwei Stunden bedankte er sich für den Grappa, verzichtete auf eine Strafe und erst recht auf den Abriss des kleinen Naturpools und verabschiedete sich von seinem amico Enrico herzlich, denn er war davon überzeugt, dass die Welt besser wäre, wenn es mehr Menschen gäbe, die so dächten wie Enrico.
Seitdem hatte Enrico in Valle Coronata Ruhe und konnte schalten und walten, wie er wollte. Und genauso wollte er es auch in Casa Meria handhaben.
Und nun war da irgendjemand, der ihn beobachtete.
Das war das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte, denn solange der Unbekannte sich nicht zeigte, konnte er ihn nicht zur Rechenschaft ziehen, verjagen oder angreifen.
Erst nach drei Wochen sah er zum ersten Mal ihren Schatten zwischen den Bäumen verschwinden. Einen Kopf, der zwischen den Zweigen wie ein heller Punkt leuchtete.
Zwei Tage später sah er sie deutlicher. Sie stand hinter einer Zypresse und kaute auf ihren blond-weißen strohigen Haaren, während sie ihn mit ihren dunklen Augen fixierte. Sie hatte nicht vor zu fliehen. Sie starrte ihn an, als wolle sie ihn an die Natursteinmauer nageln, die er erst am Morgen hochgezogen hatte. Er war sich nicht sicher, ob ihr Blick Angst oder Aggression signalisierte. Wahrscheinlich beides.
»Buongiorno«, sagte er und bemühte sich freundlich zu sein, obwohl er Lust hatte, dieses Wesen, das ihn schon seit geraumer Zeit beobachtete, belästigte und vor allem irritierte, mit einer Schaufel zu erschlagen.
Sie antwortete nicht, sondern knurrte nur, was wie das warnende Grollen eines großen Hundes klang.
»Hau ab«, rief er. »Du hast hier nichts zu suchen!«
Allora schüttelte langsam den Kopf und fasste mit beiden Händen an ihr Herz. Dann spuckte sie verächtlich aus.
»Allora«, raunte sie und kratzte sich zwischen den Schenkeln, bevor sie sich auf einen Baumstumpf setzte und Enrico weiter fixierte. Bewegungslos, mit einem eindringlichen Blick, der noch nicht mal durch einen Wimpernschlag unterbrochen wurde.
In einem Zimmer zu ebener Erde, in dem der Fußboden noch festgetretener Lehmboden und die Decke noch offen war, hatte Enrico Werkzeuge und Gartengeräte untergestellt, die er ständig im Gebrauch hatte. Mit zwei Schritten war er in dem Raum und griff eine Forke, mit der er auf Allora losging.
Wendig wir eine Katze glitt Allora vom Baumstumpf, sprang mit ein paar Sätzen zur Seite, entging knapp der Forke und verschwand kreischend wie ein verletzter Affe im Wald.
Enrico hatte diese seltsame Gestalt noch nie gesehen und glaubte nicht, dass er sie für immer verjagt hatte. Er rammte die Forke in die Erde und überlegte, ob er es wirklich fertig gebracht hätte, diese weißhaarige und auf ihre Art irgendwie schöne Hexe mit den scharfen Spitzen der Mistgabel aufzuspießen.
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Allora rannte. Wie sie noch nie gerannt war. Dieser Mensch, den sie vor vielen Jahren einmal für einen Engel gehalten und noch nie zu berühren gewagt hatte, hatte
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