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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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umzukehren und gemütlich zurück ins Tal zu fahren, um in der Stille unter dem Nussbaum bei einer Flasche Wein den Tag ausklingen zu lassen, als ihr Handy klingelte. Die Ampel wurde grün, hinter ihr hupte ein Laster. Sie drückte auf den grünen Gesprächsannahmeknopf und brüllte ins
    Telefon, ohne sich zu vergewissern, ob es auch wirklich Kai war, und ohne zu hören, was er zu sagen hatte: »Ich komme. Irgendwann komme ich, wenn ich in dieser Scheiß-Stadt erstens zum Campo und zweitens einen Parkplatz finde!« Dann schaltete sie das Handy aus.
    Sie kurvte eine weitere Viertelstunde durch die Gegend und parkte schließlich an der Piazza della Liberta, doch wieder in der Nähe des Stadions. Dann marschierte sie weitere zwanzig Minuten zu Fuß und kam schließlich um zehn nach acht auf dem Campo an. Gestresst und vollkommen erschöpft. Der Schweiß lief ihr in kleinen Rinnsalen übers Gesicht, und ihre Wimperntusche hinterließ schmale gräuliche Streifen auf dem Make-up.
    Am Brunnen sah sie ihn stehen. Das Hemd offen, die Ärmel des leichten Sommerjacketts hochgekrempelt, die Hände in den Taschen. Er sah aus, als pfiffe er leise ein Lied vor sich hin. Verflucht noch mal, sieht der Kerl gut aus, dachte sie, und ich komme hier an wie eine Gewitterhexe, die drei Tage auf ihrem Besen durch den Sturm geritten ist.
    Er lachte, als er sie kommen sah.
    »Ich bin völlig fertig«, sagte sie statt einer Begrüßung. »Sag jetzt nichts, sonst springe ich dir an den Hals.«
    Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie herunter auf eine Stufe des Brunnenrands. »Setz dich erst mal und ruh dich aus. Und dann überlegen wir, was wir machen.«
    »So kann ich unmöglich essen gehen, ich klebe! In Valle Coronata war der Strom weg, ich hatte einen Gewaltmarsch nach La Pecora hinter mir und konnte noch nicht mal duschen!« Sie sah ihn an und brachte sogar ein Lächeln zustande. »Heute ist einfach alles schief gegangen.«
    »Ich lade dich zu einer Dusche und einem eisgekühlten Drink auf meiner Terrasse ein. Was hältst du davon? Es sind nur ein paar Minuten zu Fuß. Danach können wir immer noch essen gehen.«
    »Ich kann zwar keinen Schritt mehr laufen, aber das hört sich wundervoll an.«
    Sie stand langsam auf und streckte sich. »Lass uns gehen. Du hast bestimmt auch einen Stuhl oder Sessel, in dem man bequemer sitzt als hier auf diesen Steinen.«
    Sie sagte »Sessel«, dabei dachte sie eigentlich nur an sein Bett.
    Kai war dankbar, dass Anne duschte und nicht badete wie Allora, sonst hätte er ihr als Badezusatz auch Wollwaschmittel anbieten müssen. Als sie fertig war, kam sie in seinem blau-grün gestreiften Bademantel auf die Terrasse und setzte sich in einen Liegestuhl. »Jetzt geht's mir gut«, verkündete sie, und er konnte sich nicht erinnern, jemals eine Frau so schön gefunden zu haben wie diese in seinem riesigen Frottee-Bademantel.
    Er reichte ihr einen Campari-Soda mit Zitrone und prostete ihr mit seinem Whisky zu. »Salute«, sagte er, »auf dass du glücklich wirst in Valle Coronata!«
    Anne nickte und schwieg. Während sie langsam und in winzigen Schlucken trank, genoss sie den Blick über die Stadt. »Fantastisch«, flüsterte sie. »Diese Aussicht ist einfach traumhaft! Mein Tal hat eher etwas vom Fichtelgebirge, aber das hier ist Italien!«
    »Vielleicht hättest du dir doch noch andere Objekte ansehen sollen. Die meisten Häuser haben einen weiten, tollen Blick, und vielleicht wird dir das im Tal irgendwann einmal fehlen.«
    »Vielleicht, vielleicht, vielleicht«, meinte sie nachdenklich. »Das weiß man alles nicht aber irgendetwas in diesem Tal zieht mich magisch an. Dieser Ort hat mich verhext, er hat etwas Besonderes, das ich nicht beschreiben kann. Ich hatte bei unserer Besichtigung auch nicht das Gefühl, zum ersten Mal dort zu sein, es war alles so vertraut... Nein, Kai, es ist schon richtig so. Irgendwie hat mich das Schicksal in dieses kleine Paradies gespuckt, und jetzt bin ich gespannt, was mit mir passiert.« Sie rührte mit ihrem Strohhalm im Campari herum. »Weißt du was«, sagte sie, »wir gehen jetzt ins Bett, und dann erzähle ich dir, warum ich wirklich nach Italien gekommen bin und was ich hier will.«
    Sie stand auf und lächelte. Dann nahm sie ihn an der Hand und zog ihn von der Terrasse.
    Kai war fassungslos. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass der Abend im Bett enden könnte — aber so etwas hatte er nicht erwartet. Er folgte ihr widerstandslos, und sein Herz klopfte wie

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