Der Kindersammler
Phänomen erklären könnte.
Sie war wütend, dass er nicht da war, weil sie nicht wusste, wie sie die Zeit totschlagen sollte, bis er endlich kam.
Carla nahm das Bild und schob es im Nebenzimmer zwischen zwei Bildbände von der Toscana und blieb einen Moment am Fenster stehen. In der Ferne auf einem Hügel sah sie Montebenichi im Sonnenschein. Felix' Foto, dachte sie, verdammt noch mal, hier liegt Felix' Foto auf meinem Tisch. Es ist eine Nachricht, aber ich kann sie beim besten Willen nicht verstehen.
69
Auf dem Rückweg hatten Kai und Anne hinter dem Fahrer- und dem Beifahrersitz zwei Korbflaschen mit je siebzehn Litern Montalcino, der in Valle Coronata in Flaschen abgefüllt und verkorkt werden sollte. Anne schlief fast während der gesamten Fahrt. Sie wachte erst auf, als der Jeep auf der Schotterstraße durch die Olivenhaine rumpelte.
»Wir sind ja schon da«, murmelte sie verschlafen. »Wie schön! Ich hab die ganze Strecke verschlafen und meinen Mittagsschlaf nachgeholt.«
»Dann bist du ja heute Abend und heute Nacht richtig fit!« Kai grinste, und Anne grinste zurück. Sie spürte ein leichtes Kribbeln im Unterleib, das sie in diesem Moment sehr genoss. Es war ein deutliches Zeichen, wie sehr sie sich darauf freute, mit Kai zu schlafen.
Während in Duddova die Sonne noch schien und die alten Männer zum abendlichen Plausch auf der Straße saßen, war die Sonne in Valle Coronata bereits hinter den Bergen verschwunden. Obwohl es ein extrem heißer Tag gewesen war, spürte Anne hier im Tal die feuchte Kühle, die einen umschloss wie ein klammes Tuch.
»Valle Coronata ist nicht die Toscana«, sagte Anne. »Der italienische Sommer findet hier nicht statt.«
»Was ist es dann?«
»Ein weißer Fleck auf der Landkarte«, sagte Anne lächelnd. »Ein Paradies, das erst von mir entdeckt worden ist.«
Kai fuhr den Jeep bis vor die Küche, um die schweren Korbflaschen nicht so weit tragen zu müssen.
Anne entdeckte die kaputte Scheibe der Küchentür sofort. Der erste Einbruch, dachte sie, das ging ja schnell. Sie war unendlich dankbar, dass sie in dieser Nacht nicht allein sein würde, und beschloss, Kai zu bitten, bei ihr zu bleiben, bis die Tür repariert war.
Anne stieg aus und ging zur Küchentür. Unwillkürlich sah sie zu Boden und bemerkte die eingetrockneten Blutstropfen auf dem Mattoniboden. Danach hob sie den Kopf und blickte in die Küche. Zwei Sekunden lang stand sie völlig bewegungslos, dann stieß sie einen gellenden Schrei aus.
70
Beim Baustoffhändler war es so voll, dass Enrico schon überlegt hatte, vielleicht besser am nächsten Morgen wiederzukommen. Aber dann würde er den halben Vormittag mit Einkäufen verlieren, und das war noch schlimmer. Also blieb er und versuchte Ruhe zu bewahren. Jetzt nach Feierabend kauften die Handwerker der ganzen Gegend die Materialien für den nächsten Tag, ersetzten fehlendes Werkzeug und nutzten das Treffen im negozio ferramento für einen kleinen Plausch. Viele versuchten mit Enrico ins Gespräch zu kommen. Enrico blieb freundlich, aber hielt sich spröde zurück und antwortete nur so knapp wie möglich.
»Du hast Casa Maria, das Haus der alten Hexe, gekauft «, fragte Mario, der Waldarbeiter.
Enrico nickte.
»Die Alte, die verbrannt ist?«, wollte Piero wissen.
»Die ist nicht verbrannt. Die war schon tot, und dann hat diese Irre das Haus angezündet.«
Enrico hatte schon von »dieser Irren« gehört, aber er hatte sie noch nie gesehen. Es interessierte ihn auch alles nicht, er wollte nur endlich bedient werden.
»Baust du das Haus wieder auf?«
Enrico nickte erneut.
»Hast du denn schon eine Genehmigung?« Marios Stimme rutschte ganz hoch bei dieser Frage.
»Noch nicht.« Das waren genau die Gespräche, die Enrico so hasste, denn alles, was beim Baustoffhändler in Erfahrung gebracht wurde, wurde noch am selben Abend in Windeseile im ganzen Dorf verbreitet.
»Und? Baust du schon?«
»Noch nicht.« Enrico lächelte und schaute in eine andere Richtung. Er hatte noch zweieinhalb Monate Zeit. Erst dann begann die Jagd, erst dann würde hin und wieder ein Jäger vorbeikommen und sehen, dass das Haus wieder aufgebaut worden war. Meist lud er die Jäger, die er traf, zum Wein ein und tat freundlich, dann wurden sie nicht bösartig und zeigten ihn auch nicht bei der Forestale an.
Die Italiener schoben die Schweigsamkeit des Deutschen seinen Sprachschwierigkeiten zu und verloren das Interesse an ihm. Enrico wartete geduldig noch eine weitere
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