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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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halbe Stunde, bis er endlich bedient wurde und zumindest einen Großteil der Schrauben bekam, die er zum Bauen der Fenster brauchte.
    Auf dem Rückweg nach Casa Meria sah er, dass ein schwarzer Jeep hinter ihm herfuhr. Als er sich umdrehte, blendete der Jeep auf, und Enrico erkannte Anne und Kai Er winkte in den Rückspiegel und beschleunigte. Der Jeep folgte.
    Enrico stöhnte auf. Was wollten die beiden heute Abend bei ihm? Der Überraschungsbesuch passte ihm gar nicht. Er hatte seit heute Morgen um sieben gearbeitet und dann die vertrödelte Zeit beim Baustoffhändler ertragen, die mehr an seinen Nerven gezehrt hatte als fünf Stunden Steine schleppen. Er dachte nur daran, wie gern er jetzt die Arbeitshose ausziehen und sich den Zementstaub, der zusammen mit Schweiß am Körper klebte, abwaschen würde. Nach smalltalk oder gepflegter Konversation war ihm jetzt überhaupt nicht zumute.
    Zeiten wie in Valle Coronata, wo ihn niemand kannte, niemand besuchte, weil diese Adresse auch offiziell noch gar nicht existierte, würde es wohl nie wieder geben.
    Carla stand schon vor dem Haus, als beide Wagen nacheinander den Weg hinunterrollten. Sie lächelte und umarmte Anne und Kai zur Begrüßung.
    »Schön, dass ihr mal vorbeikommt«, sagte sie und versuchte, ihre Stimme munter klingen zu lassen, aber insgeheim überlegte sie fieberhaft, ob dieser Überraschungsbesuch mit dem Foto auf ihrem Küchentisch zusammenhängen könnte.
    »Du wirkst so bedrückt?«, bemerkte Enrico sanft zu Anne, und Anne nickte nur. Carla strich er zur Begrüßung leicht über die Schulter.
    »Macht es euch schon mal bequem«, meinte er. »Ich dusche kurz. Fünf Minuten, und dann will ich wissen, was los ist.«
    Anne und Kai setzten sich unter einen knorrigen Feigenbaum. Carla fand ihn besonders schön und hatte dort eine kleine Sitzecke eingerichtet. Sie ging ins Haus, um den Wein zu holen.
    Kai und Anne sahen sich um. »Unglaublich, was Enrico in dieser kurzen Zeit alles geschafft hat«, meinte Anne. »Er arbeitet wie ein Tier. Und hast du ihn mal beobachtet? Er macht fast alles im Laufschritt.«
    »Anne«, Kai nahm ihre Hand und sprach sehr leise, »was wollen wir hier? Enrico und Carla werden in Valle Coronata nicht eingebrochen haben.«
    »Nein. Aber irgendwo müssen wir anfangen. Vielleicht haben sie eine Idee, einen Verdacht? Wir können jetzt nicht in Valle Coronata rumsitzen und versuchen, das Ganze zu verdrängen!« Anne war Kai gegenüber ungehaltener, als sie es eigentlich wollte, aber es machte sie nervös, dass sie von ihrem Platz aus direkt die Stelle beobachten konnte, wo sich Enrico abseifte und duschte. Es schien ihn nicht im Geringsten zu stören, dass man ihm dabei zusah.
    In diesem Moment kam Carla mit Wasser, Wein, Oliven, Käse und etwas Brot zum Tisch. »Mehr haben wir leider nicht im Haus«, sagte sie, während sie das Tablett abstellte.
    »Das ist doch toll«, meinte Anne. »Wir haben sowieso keinen großen Hunger.«
    Kai verzog das Gesicht und grinste. Er hatte fürchterlichen Hunger.
    Enrico hatte sich eine kurze Hose und ein T-Shirt angezogen, kam an den Tisch, während er sich noch die Haare abtrocknete, und setzte sich.
    »Was ist los?«, fragte er. »Was ist passiert?«
    Carla verschüttete beim Eingießen ihr Mineralwasser, so sehr zitterten ihre Hände, aber niemand achtete darauf.
    »Vorweg mal eine Frage, Enrico«, sagte Anne. »Warum hast du gesagt, hier in dieser Gegend seien keine Kindermorde geschehen? En unmittelbarer Nähe sind außer meinem Felix noch zwei andere Kinder verschwunden. Filippo und Marco. Filippo war elf und Marco dreizehn. Wenn so etwas passiert, reden die Leute wochenlang darüber. In den Bars, in den Geschäften, auf dem Markt, auf der Piazza, überall. Ich hab es ja selbst erlebt. Und ihr habt von all dem nichts mitbekommen?«
    »Ich hab das wirklich nicht gewusst«, hauchte Carla. Auf ihren Wangenknochen bildeten sich hektische rote Flecken.
    »Ich hab es gewusst«, sagte Enrico leise und sah zu Boden. »Kann sein, dass Carla es nicht mitbekommen hat, ich glaube, sie war beide Male zufällig in Deutschland.«
    »Von Felix' Verschwinden hast du auch gewusst?«
    Enrico nickte.
    »Und als Felix verschwand, ist Carla auch in Deutschland gewesen?«
    »Ja«, sagte Carla, »das hab ich dir doch gesagt. Mein Vater hatte einen Herzinfarkt.«
    Anne machte eine flüchtige Geste, die so viel bedeutete wie: stimmt, hatte ich vergessen. Sie sah Enrico an. Ihr Blick war wütend und ihre Stimme klang

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