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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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später ein weiteres Kind verschwunden war. Der kleine Marco. Auch Marco wurde gesucht, vielleicht sogar am längsten und intensivsten, denn schließlich war er mittlerweile der dritte Junge, der innerhalb von sechs Jahren in dieser Gegend verschwunden war. Aber auch in Marcos Fall hatte niemand etwas gesehen oder gehört, die Polizei war völlig hilflos.
    Marcos Mutter sprach seit dem Verschwinden ihres Kindes kein Wort mehr. Mit niemandem. Weder mit ihrem Mann noch mit Freunden oder Verwandten und mit der Polizei schon gar nicht. Daher glaubte Raffaella auch nicht, dass Marcos Mutter weiterhelfen könnte.
    Für all die Informationen dankten Kai und Anne Raffaella herzlich und verabschiedeten sich.
    »Das bringt alles nichts«, sagte Anne, als sie vor der Tür der Torellis standen. »Ich glaube, wir verschwenden unsere Zeit. Kinder verschwinden, niemand hat etwas gesehen, niemand weiß was. Es ist zum Verrücktwerden!«
    »Komm«, meinte Kai »Lass uns einen kleinen Spaziergang machen. Ich zeig dir Casa Lascone. Das Haus, das Enrico auch aufgebaut hat. Es ist sehr schön geworden.«
    Anne zeigte auf ihre Sandalen. »Ich bin auf einen Gewaltmarsch überhaupt nicht eingerichtetl«
    »Kein Problem, die Straße ist nicht schlecht, und wir laufen höchstens zehn Minuten. Es ist nicht weit von hier.«
    Das Haus war beeindruckend. Groß und imposant stand es wie ein Monument inmitten von Olivenhainen direkt am Hang. An der Vorderfront gab es eine freie, von Säulen getragene Terrasse, von der aus man einen weiten Blick über das Ambratal hatte, eine zweite Terrasse hatte Enrico hinter dem Haus angelegt, etwas versteckt zwischen Obst- und Olivenbäumen, von der aus man einen wesentlich romantischeren Blick über den Wald und eine tiefe Schlucht bis hin zum gegenüberliegenden Berg mit dem kleinen Ort Rapale hatte. Unterhalb der Terrasse lag ein Natursteinpool, der zurzeit ohne Wasser war.
    »Was ist denn hier passiert?« Anne trat näher an den Poolrand und sah hinunter. Auf dem Grund war mit roten Backsteinen das Wort CARLA in den Boden gemauert.
    »Er wollte Carla ein Denkmal setzen oder ihr eine Liebeserklärung machen, was weiß ich ... «
    »Aber was für ein Blödsinn!«, meinte Anne. »Wieso schreibt man den Namen seiner Freundin in den Pool eines Hauses, in dem man nicht vorhat zu wohnen, weil man es auf jeden Fall verkaufen will? Was für ein Schwachsinn! Mich würde es stören, ein Haus zu kaufen, in dessen Pool der Name einer Frau steht, mit der ich nichts zu tun habe!«
    Kai zuckte die Achseln. »Enrico macht manchmal merkwürdige Dinge, die kein Mensch versteht. Für mich war und ist er ein Spinner, aber ein liebenswerter. Man darf das, was er sagt, einfach nicht so ernst nehmen, außerdem leidet er an Selbstüberschätzung. Aber solche Menschen sind ja meist ganz interessant. Ich kann mich noch erinnern... Carla war gerade in Deutschland, und Enrico baute den Pool. Und dann hat er ihren Namen in den Grund gemauert, um sie zu überraschen. Aus einer Laune heraus, denke ich. Eine Schnapsidee. Vielleicht hatte er auch eine Flasche Wein zu viel getrunken.«
    »Und warum ist jetzt kein Wasser drin?«
    »Der Pool ist undicht. Der Belgier, der das Haus gekauft hat, ist im Moment nicht da. Wenn er im Herbst wiederkommt, will er die undichte Stelle suchen lassen. Zur Not muss er ihn aufhauen oder noch eine Schicht Beton aufschütten. Aber dann wird der Pool insgesamt immer flacher, und allzu tief ist er ohnehin nicht.«
    »Stimmt. Eleonore hat von dem undichten Pool erzählt.«
    Sie gingen langsam um das Haus herum. »Mit diesem Haus hat er sich wirklich Mühe gegeben«, meinte Kai. »Mehr als in Valle Coronata. Vielleicht hatte er inzwischen auch einfach schon ein bisschen mehr Erfahrung mit dem Bauen.«
    »Ich habe eine undefinierbare Angst«, sagte Anne als sie zurückfuhren. »Aber ich weiß nicht, wovor. Das bezieht sich nicht nur auf Valle Coronata. Kennst du das Gefühl, wenn du bei Sonnenschein über eine blühende Wiese gehst, weit und breit kein
    Mensch, es ist warm, Schmetterlinge fliegen durch die Luft, Grillen zirpen, du könntest eigentlich vollkommen glücklich sein, aber du hast die böse Ahnung, dass gleich etwas passiert? Die grüne Wiese wird auf einmal zur Bedrohung. Du suchst verzweifelt nach Fluchtmöglichkeiten oder nach irgendeinem Ort, an dem du dich verstecken kannst, aber da ist nichts. Kein Baum, kein Strauch, keine Hütte, nichts. Und augenblicklich bist du davon überzeugt, dass die

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