Der Kindersammler
Maresciallo di Forestale, der oft im Wald unterwegs ist, um zu sehen, ob irgendjemand schwarz baut?«
»Oder der Makler, der Häuser und Ruinen vermittelt und ständig in der Landschaft herumgondelt? Hör doch auf, Anne, da ist ja jeder verdächtig, der hier in dieser Umgebung wohnt, denn jeder, der hier lebt, fährt durch die Gegend, um jemanden zu besuchen oder Pilze zu sammeln oder was weiß ich. Das kannst du nicht eingrenzen, das ist völlig unmöglich.«
Anne ließ sich von ihrem Gedanken nicht abbringen. Sie war ernst und konzentriert, ihr Gesicht glühte vor Anspannung. »Wann hat Enrico eigentlich immer neue Häuser ausgebaut? Weißt du das?«
Kai seufzte. »Nee, so aus dem Hut kriege ich das nicht zusammen, aber ich kann nachsehen, ich hab ihm sämtliche Ruinen vermittelt.«
»Tu das.«
»Jetzt?« Kai machte ein entsetztes Gesicht. »Ich dachte, wir gehen noch essen? Ich habe seit heute Morgen drei Flaschen Mineralwasser getrunken und noch nicht mal an einem Keks gekaut! Mir ist schon ganz komisch von dem Schlückchen Sekt!«
»Bitte, sieh nach. Jetzt.«
Kai fand schnell, was er suchte, aber blätterte relativ unwillig die Akten durch.
»Also«, meinte er und setzte eine schmale Lesebrille auf, »1992 hat er begonnen, Valle Coronata aufzubauen, 1996 hat er die Umbauten in La Pecora gemacht, 1996 hat er auch Casa Lascone gekauft und 1999 La Roccia. Den Rest weißt du.«
»Ja.« Anne dachte nach. »2090 verschwand Marco ... Weißt du auch, wann er La Roccia wieder verkauft hat?«
Kai sah wieder in seinen Unterlagen nach. »Im Februar 2002.«
»Dann hat er sich wahrscheinlich mit seinen Finanzen etwas verkalkuliert, sodass er jetzt, im Sommer 2004, sogar Valle Coronata verkaufen musste. Seine Heimat, wo er sonst ja immer gelebt hat, während er irgendwo baute.«
»Kunststück«, schnaubte Kai verächtlich. »Er hat immer zu billig verkauft, hat sich nie an die allgemein üblichen Preise gehalten. Ich war so sauer, hatte mir immer wieder geschworen, nie wieder mit ihm Geschäfte zu machen, aber du weißt ja, wie das ist. Mit seinem völlig bescheuerten Sturkopf machte er eigentlich die Preise hier in der Gegend kaputt. Er würde sicher mit seinem Geld auskommen, wenn er nicht so dämlich wäre.«
»Aber er ist doch nicht dämlich, Kai! Es muss einen anderen Grund geben, warum er so billig verkauft. Hat er Angst, seine Häuser nicht loszuwerden?«
Kai schenkte sich Prosecco nach. »Wenn du versuchst, das zu verstehen, was Enrico denkt und meint und tut, kommst du nie weiter. Geschäftlich ist er ein Chaot. Und niemand kann in seinen Kopf gucken.«
»Er hat immer in der Nähe gebaut, wo die Kinder verschwunden sind. Und Carla war jedes Mal in Deutschland, wenn die Kinder verschwunden sind.«
»Anne, hör auf. Fang jetzt nicht auch noch an zu spinnen. Enrico ist sonderbar, aber er ist ein hilfsbereiter, netter Mensch und tut keiner Fliege was zuleide. Dichte jetzt nicht jedem Menschen, dem du begegnest, einen Mord an den Hals, das macht dich vollkommen unglaubwürdig. Wir haben vorhin festgestellt, dass es jeder gewesen sein kann. Und der Bäcker, der Pfarrer oder auch ich als Makler sind dementsprechend genauso verdächtig wie Enrico.«
»Du hast ja Recht«, meinte Anne kleinlaut. »Ich hab ja auch nur laut gedacht. Enrico ist mein Freund und auch für mich der Letzte, dem ich so etwas zutrauen würde. Aber trotzdem ...« Sie steckte jetzt gelbe Stecknadeln dorthin, wo Enrico in den letzten Jahren Häuser ausgebaut hatte. Sie blieben alle innerhalb des Radius von zwanzig Kilometern, den Anne gezogen hatte.
»Ich meine ja nur«, sagte sie.
Die Tagesthemen waren gerade zu Ende, und Anne überlegte, ob sie sich den amerikanischen Thriller, der um dreiundzwanzig Uhr begann, noch ansehen sollte, als es draußen auf dem Parkplatz hupte. Im ersten Moment bekam sie einen fürchterlichen Schreck, aber dann fiel ihr ein, dass niemand, der sie überfallen wollte, hupen würde und dass dies eine Angewohnheit von Enrico war, um sich anzukündigen.
Sie schaltete die Außenbeleuchtung an, trat vors Haus und beobachtete, wie er den Weg heraufkam. Es war jetzt dreiundzwanzig Uhr fünf, und es musste einen Grund geben, dass er um diese Zeit noch den beschwerlichen Weg durch den Wald auf sich genommen hatte.
»Hallo Enrico!«, sagte sie, als er fast vor der Küchentür war.
»Wie geht es dir?«, fragte er freundlich, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, um diese Zeit in einer einsamen Hütte, in
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